Zwischen uns keine Grenzen. Formierung, Netzwerke und Aktionen der St. Galler Asylbewegung

AutorIn Name
Christian
Huber
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
KristinaK
Schulz
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2019/2020
Abstract
Am 27. Februar 1986 erhielten die Medien in der Region St. Gallen ein Pressecommuniqué zugeschickt, das die Gründung des «Komitees für eine solidarische Asylpolitik» in der Stadt St. Gallen bekannt gab. Rund sieben Jahre später bildeten gleichenorts Frauen und Männer verschiedener Herkunft den Antirassismus-Treffpunkt CaBi (Café-Bibliothek) als Anlaufstelle für Geflüchtete und MigrantInnen und als Ort des politischen und persönlichen Austausches. Die beiden Ostschweizer Organisationen stehen stellvertretend für den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen eine zunehmend repressive Asyl- und Migrationspolitik der Schweiz in den 1980er Jahren und gegen die steigende Gewalt gegen Asylsuchende in den 1990er Jahren. Die Masterarbeit beschäftigt sich mit der Entstehung, Entfaltung und Institutionalisierung der St. Galler Asylbewegung in den 1980er Jahren. Sie beschreibt dabei anhand des analytischen Modells für soziale Bewegungen nach Joachim Raschke Formierungsursachen, Ziele und Strategien von Aktionen, Mobilisierungserfolgen und -niederlagen. Daraus ergibt sich ein Einblick in eine bewegte Zeit während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die Schweiz unterstrich innerhalb der dichotomischen Logik des Kalten Krieges ihre Zugehörigkeit zum westlichen Lager; zuerst mit der grosszügigen Aufnahme von je über 10'000 Geflüchteten aus den von kommunistischen Grossmächten bedrohten Ländern Ungarn (1957) und der Tschechoslowakei (1968) sowie später mit der Aufnahme von nur rund 200 chilenischen Flüchtlingen nach dem Militärputsch im sozialdemokratisch regierten Chile (1973). Ausgehend von den Protesten der «Freiplatzaktion für Chile-Flüchtlinge» und der Mobilisierung für die «Mitenand»-Initiative ab 1975, entstanden in den 1980er Jahren in der Schweiz neue zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich gegen die schweizerische Asylpolitik wehrten. Denn als 1986 das nationale Parlament bereits die zweite verschärfende Revision des erst 1981 in Kraft getretenen Asylgesetzes beriet, stand das Asylthema aufgrund der zunehmenden Gesuche aus der Türkei, Chile und Zaire (der heutigen Dem. Rep. Kongo) ganz zuoberst auf der innenpolitischen Agenda der eidgenössischen Räte. Das ursprünglich liberale Asylgesetz veränderte sich innerhalb weniger Jahre zu einer Gesetzgebung, die die Attraktivität der Schweiz als Aufnahmeland von Flüchtlingen stark verringerte. Gegen die zweite Asylgesetzrevision wurde vom «Asylkomitee St. Gallen», das 1986 aus verschiedenen Trägergruppen entstand, zusammen mit der nationalen «Asylkoordination Schweiz» und unzähligen weiteren lokalen und regionalen asylpolitischen Organisationen das Referendum ergriffen. Aus den Quellenbeständen des Archivs für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz in St. Gallen und aus mehreren Privatarchiven ist es gelungen, die Kampagnen gegen diese Revision, aber auch die weiteren Aktionen des Komitees chronologisch-systematisch zu beschreiben. Ergänzendes Material aus dem Archiv von «Solidarité sans frontières» in Bern und dem Sozialarchiv in Zürich zeigen eine breit vernetzte, aktive Asylbewegung in der Ostschweiz Ende der 1980er Jahre. Die AktivistInnen waren jedoch nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch im direkten En- gagement für Geflüchtete, beispielsweise bei alltäglichen oder juristischen Problemen oder bei der direkten Hilfe beim Grenzübertritt an der österreichisch-schweizerischen Grenze, tätig. Zusammen mit verschiedenen regionalen Exilgemeinschaften wurden zudem Feste und Informationsabende veranstaltet – sogenannte «Banquet républicain» – um die Öffentlichkeit über die Situation der Geflüchteten zu informieren. Als sich 1989 nach der veränderten Weltordnung viele Solidaritätsbewegungen in einer Krise befanden und ihre Kapazitäten, weiteren Druck auszuüben, häufig aufgebraucht waren, ging auch das Engagement der St. Galler Asylbewegung zurück. Jedoch kamen mit den gewalttätigen Angriffen auf Asylsuchende und Asylunterkünfte neue Themen auf, welche 1993 in St. Gallen zur Gründung eines niederschwelligen Antirassismus-Treffpunktes führten, der noch heute aktiv ist. Die Bewegung wurde also in einem gewissen Sinne institutionalisiert, ohne dabei ihren ursprünglichen Bewegungscharakter zu verlieren. Wie die Untersuchung aufzeigen konnte, folgte die lokale Asylbewegung in St. Gallen den Entwicklungen der nationalen Bewegung, die ebenfalls von einer zunehmenden Institutionalisierung begleitet wurde. Dank dieser Masterarbeit gelang es, aus dem Blickwinkel einer regionalen Bewegung heraus eine nationale neue soziale Bewegung zu beschreiben, die in der bisherigen Bewegungsforschung eher aussen vor gelassen wurde.

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