Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2015/2016
Abstract
Die Masterarbeit ist in zwei Hauptteile gegliedert und beinhaltet eine gesellschaftliche und politische Analyse Italiens zur Zeit des Kriegseintritts. Im Vordergrund steht die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass sich die politischen Eliten des Landes nach zehnmonatiger Neutralität – vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges angerechnet – dazu entschieden, aktiv in einen Krieg einzutreten, welcher an der Westfront bereits den Charakter eines modernen Stellungskrieges mit vielen Opfern gezeigt hatte. Der italienische Kriegseintritt, der sogenannte Intervento, kostete das Leben von insgesamt ungefähr zwei Millionen Menschen – Kriegsopfer, Invalide und Opfer der grassierenden Spanischen Grippe eingerechnet.
Im ersten Teil werden in einer politischen Analyse von der Vorkriegszeit bis zur Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn die einzelnen Etappen aufgezeigt, welche den Intervento möglich gemacht hatten. Ferner werden die Rollen und Interessen der politischen Eliten – Regierung, Königshof, Generalstab und Parlament – während der Zeit der italienischen Neutralität analysiert. Dabei werden die innenpolitischen Strömungen mit den Kriegsgeschehnissen während der Zeitspanne der italienischen Neutralität verglichen, um aufzuzeigen, inwiefern diese die Kriegseintrittsentscheidungen beeinflussen konnten. Es kristallisiert sich heraus, dass der Premierminister Antonio Salandra, sowie der Aussenminister Sidney Sonnino den Kriegseintritt alleine entschieden und dabei von König Vittorio Emanuele III. unterstützt wurden. Da Salandra und Sonnino im Parlament keine Mehrheit für den Kriegseintritt fanden, musste der König in den zwischen ihnen und den Entente-Mächten geschlossenen Pakt von London vom 26. April 1915 verwickelt werden, um die italienischen Parlamentarier mit dem Fait accompli der Abstimmung zu konfrontieren, gemäss welcher eine Stimme gegen den Kriegseintritt als Stimme gegen den König und somit gegen die Institution gewertet worden wäre. Motive für den Kriegseintritt waren sowohl innenpolitische Gründe als auch imperialistische Ambitionen.
Im zweiten Teil der Arbeit wird die Lage der Bevölkerung analysiert und erörtert, inwiefern die Bevölkerung am politischen Geschehen und an der Entscheidung zum Kriegseintritt beteiligt war. Es wird aufgezeigt, dass das Wahlrecht bedingt durch eine Regelung, gemäss welcher nur männliche Bürger, die des Schreibens kundig waren, wählen durften, stark eingeschränkt war. Die Rate der Analphabeten war mit durchschnittlich 46% hoch und lässt rasch erkennen, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung über eine Mitsprachemöglichkeit verfügte. Über 55% der Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft. Die Industrialisierung war im europäischen Vergleich im Anfangsstadium. Obwohl Italien seit 1861 als Staat existierte, fehlte dem grössten Teil der Menschen, welche in Italien lebten, jegliche Identifikation mit der „Patria“. Sie wussten nicht einmal was „Italien“ darstellte. Mit der Kriegserklärung wurde aber das Leben genau dieser Menschen aufs Spiel gesetzt, und für einen Zweck missbraucht, der ihnen fremd war. Sie mussten für ein Land in den Krieg ziehen, dessen Existenz sie weder kannten, geschweige denn sich als Teil desselben fühlten.
Diese Arbeit beabsichtigt die Gegenüberstellung der Rollen der politischen Eliten und der Situation der durch den Krieg am meisten betroffenen Menschen. Innenpolitische Machtspiele und deren Konsequenzen für die Bevölkerung sind in dieser Arbeit nebeneinander aufgeführt. Sie baut auf Literatur aus verschiedensten Zeiten auf, beginnend mit Publikationen aus der Zwischenkriegszeit bis hin zu moderner Forschungsliteratur. Daneben werden diverse Quellen verwendet, die einen direkten Einblick in das Denken der damaligen Akteure ermöglichen.