Volkstribun und "marxistischer Nonkonformist". Eine Darstellung des politischen Eingagements des Schweizer Linksintellektuellen Hans Mühlestein zwischen 1936 und 1943

AutorIn Name
Matthias
Möckli
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


Am 18. Dezember 1936 wurde der Schweizer Schriftsteller und Etruskerforscher Hans Mühlestein wegen seines Engagements in der Solidaritätsbewegung für die Spanische Republik zu einem Monat Gefängnis und zwei Jahren Verlust der bürgerlichen Ehre verurteilt. Diesem Urteil folgte bis 1939 eine Prozesswelle gegen Schweizer Spanienkämpfer, in deren Verlauf über vierhundert Urteile gefällt wurden. Nach seiner Verurteilung näherte sich Mühlestein der kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) an und wurde zum Chefredakteur der politisch-kulturellen Monatsschrift „Heute und Morgen“. Mit seiner Rolle als „Weggefährte“ der KPS stellte Mühlestein eine Ausnahme unter den Schweizer Linksintellektuellen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre dar. Er besuchte die Sowjetunion und wurde zu einem glühenden Verehrer Stalins. Die Lizentiatsarbeit untersucht die Fragen, weshalb sich Mühlestein politisch engagierte, welchen Handlungsmaximen er folgte und welche Mittel er zu deren Umsetzung benutzte. Es soll ebenfalls geklärt werden, welche Wirkung Mühlestein mit seinem Engagement erzielte und welche Rolle er sich selbst als Intellektueller zuschrieb.

Die Untersuchung basiert in theoretischer Hinsicht auf einem von Pierre Bourdieu geprägten Intellektuellenbegriff, der den Intellektuellen als „bidimensionales Wesen“ versteht, das durch sein im intellektuellen Feld erworbenes „symbolisches Kapital“ Einfluss auf das politische Feld nimmt. Für die Umsetzung der Fragestellung wurde ein biographischer Ansatz gewählt. Dabei orientiert sich die Arbeit an neuen Ansätzen in der historischen Biographik, welche die historische Person in ihrer Abhängigkeit zu dem sie umgebenden historischen Kontext betrachten. Da das politische Engagement Mühlesteins im Spannungsfeld zwischen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen und ideengeschichtliche Strömungen untersucht wird, kann diese Arbeit auch einer „histoire des intellectuels“ zugeordnet werden.

Für die Untersuchung wurden der Nachlass von Hans Mühlestein sowie Bestände im Bundesarchiv Bern und Dokumente aus dem Archive Jules Humbert-Droz in La Chaux-de Fonds ausgewertet. Im ersten Teil der Arbeit wird Mühlesteins Engagement für die Solidaritätsbewegung und der damit zusammenhängende Prozess untersucht, während der zweite Teil der Arbeit auf seine Rolle in der KPS und die daraus resultierenden Konflikte fokussiert.

Im Wesentlichen zeigt die Lizentiatsarbeit drei Wendepunkte auf, die Mühlesteins politisches Engagement prägten. Der erste Wendepunkt war der Spanische Bürgerkrieg und die Solidaritätsbewegung in der Schweiz, durch die Mühlestein eine Plattform für sein Engagement erhielt und sich in die schweizerische Arbeiterbewegung integrieren konnte. Der zweite Wendepunkt stellte der erste Moskauer Schauprozess im August 1936 dar, den Mühlestein vehement gegen Kritiker verteidigte und sich somit im politischen Feld an die KPS anlehnte. Der dritte Wendepunkt schlussendlich war Mühlesteins Prozess, der sein Ansehen in linken Kreisen so steigerte, dass die KPS, trotz Mühlesteins bürgerlicher Vergangenheit, unbedingt mit ihm zusammenarbeiten wollte. Gleichzeitig wurde durch den Prozess Mühlesteins Vertrauen in den Schweizer Rechtsstaat vollends erschüttert. Während der Zusammenarbeit mit der KPS bewahrte Mühlestein seine Autonomie als Intellektueller. Dies führte zu Spannungen mit der Parteileitung, die jedoch beigelegt werden konnten, da das Interesse an einer Zusammenarbeit auf beiden Seiten gross war. Mit seiner politischen Haltung und seiner Rolle als „Weggefährte“ entsprach Mühlestein dem Typus eines Intellektuellen, wie er vor allem in Frankreich anzutreffen war. Er war über eine humanistische, sich an den Werten der Aufklärung und der Französischen Revolution orientierende Haltung zum Antifaschismus gekommen und sah in der Sowjetunion und im Marxismus-Leninismus die einzigen Verbündeten im Kampf gegen den sich ausbreitenden Faschismus und Nationalsozialismus. Daraus resultierte eine unbedingte Verteidigung des Stalinismus, die allerdings mehr emotional als ideologisch fundiert war. Im Gegensatz zu französischen „Weggefährten“ blieb Mühlesteins Wirkungskreis in der Schweiz klein. Nur während der Solidaritätsbewegung und des Prozesses konnte er eine grössere Öffentlichkeit erreichen. Nach dem Verbot der KPS versuchte Mühlestein nochmals mit Einzelaktionen Einfluss auf das politische Feld zu nehmen, allerdings mit geringem Erfolg. Auch als Wissenschaftler und Schriftsteller konnte er sich nicht mehr richtig etablieren und lebte stets in einer finanziell prekären Situation. Mühlestein ist das Beispiel eines Intellektuellen, der in den polarisierten 1930er Jahren Opfer eines ideologischen Irrtums geworden ist, indem er den Stalinismus als humanistischer Gegenentwurf zum Nationalsozialismus propagierte. In der Schweiz wurde er deswegen politischer Repressionen ausgesetzt und konnte weder als Schriftsteller noch als Wissenschaftler Anerkennung finden.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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