Verhört im Turm. Weibliche Kriminalität in Bern im 17. Jahrhundert

AutorIn Name
Tina
Adam
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2017/2018
Abstract
Kriminalität ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Durch die Festsetzung von Normen und die Etikettierung von Normabweichungen wird deniert, welches Verhalten als kriminell eingestuft und bestraft wird. Anhand der Analyse von delinquentem Handeln lassen sich Wertvorstellungen und Ehrenkonzepte einer Gesellschaft rekonstruieren und diesen zugrunde liegende Interaktionsund Zuschreibungsprozesse erschliessen. Kenntnisse zur Berner Strafjustiz der Frühen Neuzeit, insbesondere zum 17. Jahrhundert, basieren bis dato überwiegend auf rechtshistorischen Forschungen. Die vorliegende Arbeit leistet mit dem soziokulturellen Forschungsansatz der Historischen Kriminalitätsforschung sowie der systematischen Auswertung der überlieferten Quellen zur Strafjustiz einen Beitrag zur Aufarbeitung der Justizpraxis der protestantischen Stadt und Republik Bern. Insgesamt wurden vier Zeitabschnitte à jeweils vier Jahren, also ein Untersuchungszeitraum von 16 Jahren, durch eine Kombination von qualitativer und quantitativer Methodik untersucht. Die quantitative Analyse schafft erstmals einen Überblick über die Gesamtdeliktstrukturen und die Typen der Kriminalisierung im frühneuzeitlichen Bern. Der qualitative Ansatz erlaubt es, Rückschlüsse auf die tatsächliche Gerichtspraxis zu ziehen und Geschlechterstereotypen, Rollenerwartungen und Handlungsmuster zu eruieren. Der Schwerpunkt der vorliegenden Studie liegt in der Frage nach den Spezi ka der weiblichen Delinquenz und der Bedeutung des weiblichen Geschlechts im Strafverfahren. Die Masterarbeit stützt sich hauptsächlich auf die Turmbücher der Stadt Bern, die sich heute als serielle Quelle im Staatsarchiv Bern be nden. Sie enthalten die Verhörprotokolle der strafrechtlichen Untersuchungen, die von einem kleinen Gremium aus Mitgliedern des Kleinen und Grossen Rates im Turm durchgeführt wurden. Daneben werden punktuell ergänzende Quellen wie Ratsmanuale, Chorgerichtsmanuale und Lochrödel hinzugezogen. Normative Grundlagen wie Gerichtssatzungen, Ordnungen und Erlasse komplettieren das Quellenkorpus. Die Untersuchung hat ergeben, dass sich Bern im Straf- und Verfahrensrecht stark an der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 orientierte. Auffällig hinsichtlich der Deliktstrukturen ist die Dominanz der Eigentumsdelinquenz, der Delikte gegen Obrigkeit und Ordnung sowie der Sexualdelikte, während die erfasste Gewaltdelinquenz mit einem sehr niedrigen Anteil an der Gesamtdelinquenz stark von gängigen Deliktmustern anderer frühneuzeitlicher Städte abweicht. Dieses Ergebnis verdeutlicht die Auswirkungen des Selektionsprozesses, dem die gerichtlichen Instanzen unterlagen. Die Verfolgungspraxis und die daraus resultierenden registrierten Deliktstrukturen waren geprägt durch das zunehmende Autoritäts- und Fürsorgeverständnis der Berner Obrigkeit im Rahmen des Staatsbildungsprozesses. Diese Entwicklung förderte eine starke Verfolgung der Bettelei und Vagabondage, die in anderen europäischen Städten erst im 18. Jahrhundert in dieser Intensität wahrnehmbar ist. Sie erklärt auch den hohen Anteil an Delikten gegen Obrigkeit und Ordnung. Insbesondere in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, während des verstärkten Ausbaus der Landeshoheit, funktionierte die Justiz als Sanktionierungsinstanz gegen Verletzungen des obrigkeitlichen Autoritätsanspruches. Im Kontext der Konfessionalisierung und vor dem Hintergrund des protestantischen Ordnungsdiskurses ist die zunehmende Ahndung von Verstössen gegen Sittenund Sexualnormen zu sehen. Die Kontrolle der umfänglichen Bestände der Sitten- und Sexualvergehen lag in erster Linie im Zuständigkeitsbereich des Chorgerichts, einer spezi sch protestantischen Gerichtsinstanz, die in Bern weitreichende Justizbefugnisse innehatte und eng mit der Strafjustiz verknüpft war. Die in Bern erfasste Kriminalität war folglich Ausdruck des reformatorisch geprägten Normensystems und des erstarkten obrigkeitlichen Zuständigkeitsverständnisses. Die Resultate der Untersuchung der Geschlechtsspezi ka in Berner Strafprozessen decken sich weitgehend mit bisherigen Erkenntnissen anderer Fallstudien, die zeigten, dass die Strafgerichtsbarkeit formal von der gleichen Rechts- und Schuldfähigkeit von Frau und Mann ausging. Bezüglich der Strafpraxis konnte die Studie nachweisen, dass beide Geschlechter für das gleiche Delikt grundsätzlich gleich bestraft wurden. Eine Ausnahme bildete die Körperstrafe bei Prostitution. Damit wurden Frauen bei wiederholten Sexualdelikten eher härter bestraft als Männer. Geschlechtermarkierung kam in erster Linie im Aushandlungsprozess vor Gericht zum Tragen, wobei sich die Relevanz des Geschlechts in den Deliktfeldern unterschied. Während Gender in Unzuchtsdelikten, in denen sich Frau und Mann direkt gegenüberstanden, in Form von geschlechtsspezi schen Argumentationen und Rollenzuschreibungen eine wichtige Rolle spielte, war es in anderen Deliktfeldern kaum präsent.

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