Turnen für das Vaterland und die Gesundheit. Der Eidgenössische Turnverein und seine Ansichten vom Schulturnen, dem freiwilligen Vorunterricht und dem Vereinsturnen 1900-1930

AutorIn Name
Stefan
Kern
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Albert
Tanner
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


1874 wurde an den schweizerischen Volksschulen das Schulturnen als Pflichtfach für Knaben und der so genannte „militärische Vorunterricht“ eingeführt. Beim militärischen Vorunterricht handelte es sich um obligatorische Turnund Schiesskurse, welche die nicht mehr schulpflichtige männliche Schweizer Jugend bis zum Eintritt in die Rekrutenschulen zu besuchen hatte. Die Gesetze dazu wurden vom Bund gemacht, die Ausführung dessen, jedoch den Kantonen überlassen. Auf Grund des Föderalismus gestaltete sich dann die Umsetzung des Schulturnens schwierig und der „obligatorische“ Vorunterricht blieb von Anfang an nur auf dem Papier bestehen. 1907 wurde dieser Missstand insoweit behoben, dass der Besuch der Vorunterrichtskurse freiwillig wurde und die Ausführung derselben an den Eidgenössische Turnverein (ETV), die Offiziersund Unteroffiziersgesellschaft und den Schiessvereinen übergeben wurden, welche dafür Subventionen erhielten.

Zur Umsetzung des Schulturnobligatoriums und des Vorunterrichtes wurde die Eidgenössische Turnkommission (ETK) gegründet, welche in den ersten Jahren dem Bundesrat sogar direkt unterstellt und unter anderem für das Turnlehrmittel verantwortlich war. Anhand der ETK und den Vorunterrichtskursen lässt sich die Rolle des ETV am besten aufzeigen. Da die Turner über das notwendige Wissen verfügten, konnten einige ihrer Vertreter in der ETK Einsitz nehmen und als wesentlicher Träger der Vorunterrichtskurse bildete der ETV die Leiter dafür auch selber aus. Zudem stammten viele Turnlehrer aus seinem direkten Umfeld. Der Eidgenössische Turnverein war somit stark in der Gesellschaft verankert.

Die Arbeit behandelt die Ansichten der bürgerlichen Turner vom Turnen in der Schule, im Verein und im Vorunterricht. Es wird die Frage gestellt, welcher Argumente sich die Turner bedienten und warum, wie sich diese veränderten und die Gründe dafür. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Einflüsse auf die Meinung der Turner werden anhand von Leserbriefen und eingeschickten Artikeln in den Vereinspublikationen diskutiert und behandelt. Deshalb liegt der Arbeit in erster Linie ein thematischer und kein zeitlicher Aufbau zu Grunde.

Die Untersuchung zeigt, dass sich die Schweiz den Turnern zufolge in einem politischen und wirtschaftlichen Überlebenskampf befand. Um in diesem Kampf nicht unterzugehen, bedurfte der Staat gesunder und willensfähiger Bürger, die als produktive Arbeitskräfte halfen, die Volkswirtschaft voranzubringen und welche die Staatsgrenzen im Notfall mit ihrem Leben verteidigt hätten. Da die Bürger dafür aber nicht nur fähig, sondern insbesondere willensfähig sein mussten, sollte das Turnen in der Schule, im Verein und in den Vorunterrichtskursen auch eine ideologische Erziehung zur nationalen Gesinnung hin sein. Dabei verstanden sich die Turner fälschlicherweise immer als politisch neutral, da sie aus ihrer Sicht keine Parteipolitik betrieben, sondern sich lediglich im Sinne der Nation einsetzen. In Folge dessen erachteten sie ihren Verein als immer währenden Ausdruck des Staatswillens. Sie waren darum auch der Ansicht, die proletarischen Turner des Schweizerischen Arbeiterturnund Sportvereins in den ETV integrieren zu können.

Nach dem Ersten Weltkrieg sorgte der in der Schweiz und insbesondere an den Volksschulen herrschende Antimilitarismus und Pazifismus dafür, dass auch im Vereinsund Vorunterrichtsturnen die militärische Komponente der Ideologieerziehung in den Hintergrund trat oder ganz wegfiel. Die patriotischen Motive drangen deswegen aber nicht weniger durch. Nun galt es durch Turnen seinen Körper gesund zu halten, damit man erstens eine produktive Arbeitskraft blieb und zweitens nicht zur Last der Gesellschaft wurde. Dabei wurde dieses Konzept der Volksgesundheit nicht von den Turnern, sondern von den Ärzten der „Hygienebewegung“ aufgestellt, kam dem ETV aber entgegen. Denn so konnte das Turnen trotz des Antimilitarismus weiterhin eine Volksaufgabe bleiben. Da die Sportclubs und insbesondere die Fussballvereine aber einen immer grösser werdenden Zulauf verbuchen konnten und sie sich selber auch als Förderer der Volksgesundheit sahen, verlangten sie ebenfalls Subventionen. Die Stellung des ETV in der Erziehung der Jugend durch Leibesübungen war somit nicht mehr unantastbar. Der ETV versuchte seine Position dann mit wissenschaftlichen Studien zu retten, die beweisen sollten, dass das Turnen dem Sport überlegen sei.

Des Weiteren zeigt die Arbeit, dass das Frauenturnen über den gesamten untersuchten Zeitraum nur als Krankheitsund „Degenerations“-prophylaxe empfohlen wurde und dass es darum dem „defizitären“ weiblichen Körperbau angepasst sein musste. Der ETV versuchte durch das Turnen in der Schule und im Verein mit Hilfe der Theorien der so genannten „Rassenhygieniker“ den Mädchen und Knaben ihre in der Gesellschaft zugewiesenen Geschlechterrollen aufzeigen. Somit kann das Turnen auch als ein Bollwerk gegen die Emanzipation bezeichnet werden.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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