Trauer und Trost in den Briefen von Marcus Tullius Cicero. Gefühle in der ciceronischen Korrespondenz im Kontext des Exils

AutorIn Name
Lisa-Maria
Staub
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Thomas
Späzh
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2020/2021
Abstract
Die Briefkommunikation von Marcus Tullius Cicero während seines Exils in den Jahren 58 – 57 v.Chr. sticht durch ihre ausgeprägte Emotionalität hervor, in der er sein Leid exzessiv hervorhob und Trost kategorisch ablehnte. Dennoch schrieb Cicero selbst in den Jahren 46–45 v.Chr. zahlreiche Trostbriefe an Anhänger des Pompeius, welche im Verlauf des Bürgerkriegs exiliert wurden. Diese Diskrepanz wird durch eine Analyse der Präsenz und Verwendung von Gefühlen untersucht und die Relation der Gefühle zu Trost erörtert. Die Darstellungen von Emotionen in der brieflichen Kommunikation Ciceros im Kontext des Exils können aus zwei Perspektiven untersucht werden, da Cicero einerseits als Exilant und Schreiber von Klagebriefen, andererseits als Verfasser von Trostbriefen an Exilanten fassbar ist. Diese Fallstudie ermöglicht einen mikrohistorischen Zugang zu der ciceronischen Exilkommunikation, welche ein tieferes Verständnis für die Briefe als Text und ihre Funktionen in sozialen Beziehungen schafft. Während seines Exils in den Jahren 58–57 v.Chr. drückte Cicero in seiner Korrespondenz, welche in den Sammlungen ad familiares, ad Atticum und ad Quintum fratrem überliefert ist, vorwiegend negative Gefühle wie Trauer und Schmerz aus. Diese werden exzessiv kommuniziert, wobei eine strategische Verwendung des Emotionsausdrucks erkennbar wird, die auf die Stärkung der Beziehungen, die Sicherung der Unterstützung durch die Adressaten und ihre Lenkung ausgerichtet ist. Die Singularität seines Schicksals, insofern er als Einzelperson exiliert wurde, nutzte Cicero, um die übertriebenen Gefühlsäusserungen zu legitimieren und Trost abzulehnen. Inwiefern der Gefühlsausdruck mit den tatsächlich empfundenen Emotionen Ciceros übereinstimmt, ist anhand des Quellenmaterials unmöglich zu eruieren und liegt ausserhalb des Erkenntnisinteresses dieser Studie. Die Umkehrung der Situation wird in der Korrespondenz Ciceros mit exilierten Pompeianern während der Jahre 46–45 v.Chr. sichtbar, welche in den Briefen ad familiares erhalten ist. Hierbei agiert Cicero als Verfasser von Trostbriefen, welche er vorwiegend von Rom aus an exilierte amici versendete. Die Briefe hielten die Beziehungen zu Einzelpersonen des ciceronischen Netzwerks aufrecht und ermöglichten den Austausch von Ratschlägen und Gefälligkeiten. Die Verwendung von Emotionen in den Trostbriefen fällt moderater aus als in den von Cicero verfassten Klagebriefen. Während die Klagebriefe eine starke Fokussierung auf negative Emotionen aufweisen, präsentieren die Trostbriefe ein breiteres Spektrum des Gefühlsempfinden. Dennoch verfolgte die Kommunikation von Gefühlen auch hier einen taktisch-rhetorischen Zweck zur Stärkung der Bindung zwischen den Korrespondenten. Der Ausdruck von benevolentia und amor diente der Stärkung der individuellen amicitia zwischen zwei Korrespondenten und förderte deren Bereitschaft, sich für die Rückkehr und weitere Anliegen ihres Gegenübers einzusetzen. Hierbei standen die Emotionen nicht allein mit Cicero in Verbindung, sondern konnten auch Gefühlsausdrücke der Briefpartner oder von Drittpersonen aufgreifen. Weiterhin wurden Gefühle wie beispielsweise Furcht zur Schaffung von Gemeinschaften genutzt, welche die Intensität negativer Gefühle eindämmen sollten, da in einem gemeinsamen Schicksal Trost gefunden werden konnte. Dieses prävalente Motiv in der consolatio von Cicero erklärt ebenso seine eigene Untröstlichkeit während seines Exils in den Jahren 58 und 57 v. Chr., da es sich bei seiner Exilierung um einen Einzelfall handelte. Cicero beanspruchte in seinen Klagebriefen ein aussergewöhnlich schlimmes Individualschicksal für sich, weswegen Trostworte nicht zu einer Verbesserung seiner (emotionalen) Verfassung beitrugen. Die exilierten Pompeianer hingegen teilten das Schicksal und die damit einhergehenden negativen Emotionen als Mitglieder einer Gemeinschaft, der Cicero als Anhänger des Pompeius und Verteidiger der Republik auch angehörte. Aus dieser Position erlaubte sich Cicero, den Betroffenen als Freund den erwarteten Trost zu spenden und ihr Leid mit seinen Worten und den Versprechungen auf Unterstützung zu lindern. Die Stilisierung seines eigenen Unglücks während und nach dem Bürgerkrieg ermöglichte zusätzlich die Fokussierung auf seine eigene Person, wodurch erneut Möglichkeiten zur Selbstrepräsentation geschaffen wurden. Dadurch aberkannte er jedoch den exilierten Pompeianern den exklusiven Anspruch auf negative Erfahrungen und exzessive Gefühlsäusserungen, die ihre Erlebnisse als Sonderschicksal gekennzeichnet hätten. Cicero hobt die kollektiven Aspekte der Erfahrungen und Gefühle von sich und der exilierten Pompeianer hervor, was ihm das Spenden von Trost ermöglichte. Folglich beanspruchte Cicero für sein Exil eine Exklusivität, welche er den exilierten Pompeianern nicht zugestand. Die Briefkommunikation und die darin enthaltene Verwendung von Emotionen diente somit zur aktiven Gestaltung seines Selbstbildes und zur Definition seiner Beziehungen zu Familie und Freunden.

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