Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2013/2014
Abstract
In dieser Masterarbeit soll herausgearbeitet werden, welche Glaubenserfahrungen jüdische Frauen und Männer in KZ-Haft gemacht haben. Dabei soll festgestellt werden, ob bezüglich dieser Erlebnisse Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestanden. Gegenstand der Untersuchung sind jüdische Autobiographien und Tagebücher von Frauen und Männern, die in Konzentrationslagern waren, sowie Interviews, die mit Überlebenden geführt wurden. Bei der Analyse werden Autobiographien von Überlebenden aus reinen V ernichtungslagern ausgeschlossen, weil es aus diesen Lagern kaum Überlebende gab, die darüber hätten berichten können. Ebenfalls nicht berücksichtigt werden konnten Berichte aus Ghettos oder der Untergrundbewegung, weil dabei andere, freiere Bedingungen bezüglich der Ausübung der Religion geherrscht hatten.
Eines der wichtigsten Werke zur jüdischen Religiosität in nationalsozialistischen Konzentrationslagern ist Thomas Rahes Höre Israel (1999). Der Stand der historischen Forschung zu diesem Thema ist laut Rahe lückenhaft. Die Religionserfahrungen werden in den meisten Publikationen zur Geschichte der Konzentrationslager und des Holocaust überhaupt nicht thematisiert. Rahe begründet dies mit der Randexistenz jüdischer Religionsgeschichte in der Geschichtsschreibung. Zur Thematik, ob es bei der Ausübung der Religiosität in den Konzentrationslagern Unterschiede zwischen Männern und Frauen gegeben hat, sind der Verfasserin keine wissenschaftlichen Publikationen bekannt.
Das gemeinschaftliche Gebet hatte im Konzentrationslager grundsätzlich Vorrang vor dem individuellen. Begründet wird dies dadurch, dass die Häftlinge keine Zeit alleine verbringen konnten. Deshalb vollzog sich nahezu jedes religiöse Handeln in der Gemeinschaft.
Das Feiern der Festtage erinnerte an glücklichere Zeiten zu Hause und verlieh den Häftlingen so Kraft und Hoffnung, das Lager überstehen zu können und ihre Familie wiederzusehen. Auch nicht orthodoxe Frauen und Männer wandten sich an den Feiertagen vermehrt Gott zu. Das Ausleben der Religion an den Jahreskreisfesten war für sie Ausdruck der kollektiven jüdischen Identität. Das gemeinsame Erlebnis im Gebet oder der Einhaltung des Fastengebots zu Jom Kippur und der Einhaltung der Speisegesetze zu Pessach (ungesäuertes Brot essen) führte zu einem Gemeinschaftsgefühl und spendete ihnen Trost. Dabei schien es den Frauen noch mehr um den gemeinschaftsbildenden Aspekt des Feierns gegangen zu sein: sie feierten emotionaler und waren mehr darauf bedacht alternative Formen zu suchen, um die Festtage begehen zu können. Die Männer hingegen versuchten oft, die Jahreskreisfeste so gut es ging nach den vorgeschriebenen Geboten zu praktizieren. Dabei brachten das Feiern der jüdischen Feste und die Gebetskreise am Sabbat die liberalen und orthodoxen Juden einander näher.
Der Versuch, sich auch im Konzentrationslager noch koscher zu ernähren – obwohl die jüdische Religion die Nichtbeachtung der Speise gesetze in einer solchen Situation nicht nur erlaubt, sondern sogar fordert, um das eigene Leben zu schonen – stiess sowohl bei Frauen wie auch bei Männern auf Ablehnung. Es waren vermehrt die orthodoxen Männer wie die Rabbiner im Lager, die sich durch nichts von der Einhaltung der Speisevorschriften abbringen liessen und dadurch sogar ihren Tod in Kauf nahmen.
Sowohl den weiblichen wie den männlichen jüdischen Häftlingen verlieh die Hinwendung zu Gott im Konzentrationslager eine psychologische Kraft, die ihren Überlebenswillen stärkte. Sie fanden Trost und Hoffnung im Gebet.
Auch aus Angst vor der Deportation in andere Lager sprachen die Häftlinge oft das Kaddisch (das Totengebet) füreinander und nahmen so Abschied. Zudem baten sie aus Angst vor Selektionen um Gottes Beistand, und hofften so diese zu überstehen. Besonders viele jüdische Frauen und Männer wandten sich in der Stunde ihres Todes zu Gott. Die Häftlinge des Sonderkommandos hörten, wie viele der betroffenen Menschen in den Gaskammern, oder im Entkleidungsraum davor das Schema Jisrael, das Vidduj (Sündenbekenntnis) oder das Kaddisch beteten. Sie verwiesen damit auf ihren jüdischen Glauben und wollten im Sinne von Kiddusch Haschem als Märtyrer für ihre Religion sterben.
Es gab sowohl Männer wie auch Frauen, welche die Praktizierung der Religion bei den anderen Häftlingen ablehnten. Doch besonders zynische Äusserungen und gar Schikanen der Gläubigen schien es nur bei den Männern gegeben zu haben. Die Frauen zeigten sich eher verständnislos, störten die Frommen jedoch nicht bei der Ausübung ihres Glaubens.