Der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 21. Juni 1941 unter dem Decknamen „Unternehmen Barbarossa“ war auch ein Krieg des Nationalsozialismus gegen den Kommunismus. Dieser kriegerische Angriff stellte den Vatikan vor die Frage, wie sich die katholische Kirche als Ganzes, aber auch der Vatikan und mit ihm der regierende Pontifex Papst Pius XII. (19391958), insbesondere aus Sicht der langjährigen Bemühungen, den Kommunismus und seine Ausbreitung zu bekämpfen, positionieren würde. Daraus resultiert folgende Fragestellung: Inwiefern hat die katholische Kirche – insbesondere unter dem Aspekt des Kampfes gegen den Kommunismus – den Ostfeldzug der Nationalsozialisten gutgeheissen?
Spätestens nach der Oktoberrevolution und dem Ende des Ersten Weltkrieges nahm der Vatikan eine unmissverständlich antikommunistische Haltung ein, dabei bildete die Sowjetunion das Sinnbild des Kommunismus. In dieser politischen Bewegung sah die katholische Kirche eine existenzielle Bedrohung. Der mit dem Kommunismus verbundene Atheismus schloss den Glauben und jegliche kirchliche Institution aus. Unter Stalins Terrorregime fanden viele Säuberungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen statt. Auch Christen wurden unter anderem aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit systematisch verfolgt. Im Vatikan bestand die Angst vor der völligen Vernichtung aller weltweiten Kirchen und Religionen durch totalitäre Staaten. Diese Angst ergriff den Vatikan spätestens nach der Oktoberrevolution und begleitete ihn bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg. Somit bestanden durchaus gemeinsame Feindbilder zwischen dem Vatikan und der nationalsozialistischen Ideologie. Die Tendenz des Vatikans, Hitler als Retter gegen den Feind im Osten darzustellen, ist in vielen kirchlichen Stellungnahmen erkennbar. Auch für die deutsche katholische Kirche, welche direkt vom Nationalsozialismus betroffen war, obwohl es darin verschiedene Strömungen gab, bildete die Parteinahme des Dritten Reichs gegen den Kommunismus eine wirksame Gemeinsamkeit. Hitler selber profitierte in strategischer und politischer Hinsicht vom gemeinsamen Feindbild, indem er dem Vatikan den Abschluss eines Reichskonkordats im Juli 1933 vorschlug, ein Angebot, das der Vatikan nach jahrelangen Bemühungen um einen solchen Vertragsabschluss kaum ausschlagen konnte.
Verträge mit Diktaturen waren aber für den Vatikan nicht etwas grundsätzlich Neues. Bereits mit dem faschistischen Italien schloss er 1929 die Lateranverträge ab. Der Vatikan beschloss bereits seit Papst Leo XIII. (1878-1903), sich an keine bestimmte Staatsform zu binden. Sie akzeptierte fortan, so die Lehrmeinung, jede Regierungsform, solange diese nicht gegen die Grundsätze des Christentums und des Naturrechts verstiess und die „gottgeschaffene und gottempfohlene Ordnung der Dinge“ respektierte. Diese Position der katholischen Kirche setzten sowohl Pius X. (19031914) als auch Pius XII. in der vatikanischen Politik konsequent um. Diese Nichteinmischung in fremde Staatsangelegenheiten und der stets wieder formulierte Appell an den Weltfrieden im Interesse der Menschheit prägte die vatikanische Grundhaltung auch im Zweiten Weltkrieg und beim Überfall auf die Sowjetunion. Dies führte zum berühmten und von vielen kritisierten Schweigen des Papstes Pius XII. – wobei das Schweigen primär staatliche Belange betraf, nicht aber religiöse Belange der Gläubigen.
Der Vatikan bezog während des ganzen Zweiten Weltkriegs bezüglich militärische Offensiven und gegen die Judenverfolgung keine klare politische Stellung, sondern bemühte sich, wie in der regen bilateralen Korrespondenz mit den deutschen Bischöfen zum Ausdruck kommt, um die seelsorgerischen Aufgaben und die Bildung der Jugend, sowie um die Wahrung des katholischen Sittencodex. Doch obwohl die politische Stellungnahme des Vatikans und der deutschen katholischen Kirche zurückhaltend bzw. einseitig blieb, herrschte andererseits auch keine generelle Zusammenarbeit zwischen nationalsozialistischer Regierung und katholischer Kirche. Das Ziel lautete eine vorerst gegenseitig unbehelligte Koexistenz, was auf lange Sicht wohl unmöglich geworden wäre, kurzfristig und in Kriegszeiten aber war ein Burgfriede möglich und von beiden Seiten erwünscht.
Die katholische Kirche und Hitler stimmten in einer entscheidenden Frage weitgehend überein, nämlich in der gemeinsam empfundenen Bedrohung des Kommunismus. Somit stellt sich die Frage, ob die katholische Kirche durch dieses gemeinsame Ziel das „Unternehmen Barbarossa“ billigte. Fest steht, dass mit dem Überfall auf die Sowjetunion ein sehnlichster Wunsch der katholischen Kirche in Erfüllung ging, denn der über zwei Jahrzehnte lancierte Kampf gegen den Kommunismus wurde nun durch eine aggressive deutsche Militärmacht realisiert. Von einer vatikanischen Zustimmung zum „Unternehmen Barbarossa“ kann jedoch nicht die Rede sein.