Panel: Visuelle Repräsentationen politischer Macht im südöstlichen Europa

Autor / Autorin des Berichts
Sophia Polek, Universität Basel
Zitierweise: Polek, Sophia: Panel: Visuelle Repräsentationen politischer Macht im südöstlichen Europa, infoclio.ch Tagungsberichte, 2016. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0134>, Stand:


Verantwortung: Joël László, Nataša Mišković
Referierende: Péter Techet, Joël László, Nataša Mišković

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Das Panel beschäftigte sich mit der visuellen Machtrepräsentation in Österreich-Ungarn, der Türkei und Jugoslawien. Besonders der zweite und dritte Beitrag bewegten sich im Feld der Visual Studies bzw. Bildwissenschaft. Die sich seit einigen Jahren etablierende Bildwissenschaft fragt nach der empirischen und historischen Bedingtheit visueller Kommunikation und erforscht kultur- und epochenübergreifend die Praktiken, Prozesse und Interpretationen des Schauens sowie des Darstellens.1

PÉTER TECHET vom Leibnitz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz analysierte in seinem Vortrag die visuelle Symbolisierung nationaler Konflikte im politischen und religiösen Bereich in Österreich-Ungarn von 1890 bis 1914. Er betonte, dass nationale Narrative zur Vereinfachung der Realität führten, weshalb er in seiner Forschung die lokale Realität in ihrer Komplexität begreifen möchte, um so ein vorherrschendes nationales Narrativ hinterfragen zu können. Komplex war die lokale Realität in Österreich-Ungarn allemal, wie Techet im einführenden Teil seines Vortrags aufzeigte. In dem multiethnischen, multireligiösen und multilingualen Imperium kursierten unterschiedliche Ideen von Nation und Religion und damit auch unterschiedliche Haltungen in Bezug auf das österreich-ungarische Imperium. Im ungarischen Teil setzte im späten 19. Jahrhundert eine Ethnisierung und Säkularisierung des Nationenkonzepts ein, während im österreichischen Teil das Imperium als genuin katholisch verstanden wurde, womit das Religiöse die Grundlage des Politischen bildete. Der ungarische Teil entwarf für sich eine neue Symbolik, die national aufgeladen wurde. Der österreichische Teil hingegen setzte religiöse Akte als einende, staatstragende Rituale ein. Dabei schloss die imperiale Loyalität lokale Loyalitäten nicht aus, da beide katholisch waren und das Lokale das Imperiale nicht konkurrierte. Techet präsentierte drei Fallstudien aus dem österreich-ungarischen Küstenland, das pars pro toto für das Habsburgerreich gelten kann. Diese Mikrogeschichten mit Bezug zum Imperium ermöglichen einen historischen Blick von unten: Die erste Studie untersuchte den Streit um eine Fahne im österreichischen Triest, die – zum Unmut der italienischen Städter – von der slowenischen Minderheit während der Fronleichnamsprozession im Jahr 1900 zu einem nationalen Symbol umgemünzt wurde. Das zweite Beispiel spielte im österreichischen Dorf Ricmanje, das, nachdem den slowenischen Katholiken der Gottesdienst in slowenischer Sprache verweigert wurde, zivile Trauungen und Gottesdienste einführte. Diese österreichischen Fälle stellen Konflikte um Symbole der lokalen Loyalitäten dar, die aber nicht mit der imperialen Loyalität Österreich-Ungarns kollidierten. Beim letzten Beispiel, jenes des ungarischen Fiume/Rijeka, in dem sich der Streit um das Verbot der ungarischen Hymne in der Kirche entfachte, handelt es sich hingegen um einen Konflikt, der nationalistisch geprägt war und sich letztlich gegen das Habsburger Imperium richtete.

JOËL LÁSZLÓ vom Seminar für Nahoststudien der Universität Basel zeigte anhand dreier Beispiele die Entwicklung des Führerkults um Mustafa Kemal von 1919 bis 1938 auf. Dabei konzentrierte er sich auf das Mittel der Montage, die sich gut für die Visualisierung von Personenkulten eignet, da sie die Fotografie mit anderen Elementen wie beispielweise typographischen Zeichen verbindet und somit sehr wandelbar ist.
Die erste Montage kommt in Form einer Postkarte von 1909 daher und zeigt eine Portraitaufnahme des neuen Sultans Mehmed V. umgeben von der an die europäische Heraldik angelehnte Staatsflagge, osmanischen Waffen und Abzeichen sowie einigen Schriftzeichen. Rund zehn Jahre später, während des Befreiungskriegs (1919-1923), begann sich Mustafa Kemal zur Führerpersönlichkeit zu entwickeln, was auch in einer Postkarte zur Republikgründung sichtbar ist, bei der erstaunliche Parallelen zur Postkarte von 1909 auffallen: Die Portraitfotografie von Mehmed V. wurde mit einer Aufnahme Mustafa Kemals in Militäruniform ersetzt. Auf Kemals Uniform sind militärische Abzeichen zu sehen. Die Fotografie stammt aus einer Serie, die 1919 im Studio „Photo Français“ entstand. Mit dieser Montage erzeugte Kemal eine Kontinuität zur osmanischen Herrschaft und bestieg den imaginären Thron des Reiches. Auf einer weiteren Postkartenmontage aus dieser Zeit ist eine Fotografie von Mustafa Kemal aus derselben Serie zu sehen. Die Karte ist in osmanischem Stil gehalten und die kalligraphischen Elemente erklären den Unabhängigkeitskrieg als gottgewollt – eine Strategie zur Gewinnung der Gunst der Konservativen. Das dritte Beispiel bezieht sich auf die Montagen in Tageszeitungen (hier Cumhuriyet) zum Jahrestag der Republik in den 1930er Jahren. Die Tageszeitungen griffen auf Montagen zurück, um bereits am Festtag passendes Bildmaterial abdrucken zu können. Es fällt auf, dass sich die Symbolik schon 1932 stark geändert hatte und von osmanischen und islamischen Kontinuitäten absah. Stattdessen lehnte sich die graphische Symbolik an diejenige der Sowjetunion an. Der konstruktivistische Einfluss und der Heroisierungswille sind nicht zu übersehen: Neben Mustafa Kemal sind Eisenbahnen, Militärflugzeuge, die neue Hauptstadt Ankara, die mechanisierte Landwirtschaf und die Reform von Schrift und Sprache zu sehen. Mustafa Kemal wird als Held und großer Erneuerer dargestellt. Ab den 1930er Jahren nahm die Verbindung Kemals mit der visuellen Metapher der Sonne, die für die Gründung der Republik stand, dahingehend zu, dass er einem Sonnengott ähnlich dargestellt wurde.
Während sich also die frühen Postkartenmontagen auf die klassische Ästhetik des 19. Jahrhunderts und die osmanische Tradition stützten, gingen die Zeitungsmontagen der 1930er Jahre dazu über, Mustafa Kemal mit konstruktivistischer Ästhetik als Erneuerer darzustellen. Der hohe Grad an transkultureller Verflechtung und Bezugnahme in den angeführten Beispielen zeigt, dass, wie Jan Plamper bemerkt hat, der moderne Personenkult als Paradebeispiel für „entangled histories“ gelten kann.

Josip Broz Tito gilt als ein Meister der Selbstinszenierung und hinterließ ein riesiges Fotoarchiv.2 Von 1947 bis 1980 begleiteten ihn ständig vier Fotografen. Über den Gebrauch der Bilder entschied Tito persönlich und die ausgewählten Bilder zur Veröffentlichung wurden in Alben an die Presse weitergegeben. NATAŠA MIŠKOVIĆ, ebenfalls vom Seminar für Nahoststudien der Universität Basel, präsentierte die These, dass Titos Selbstdarstellung tief in der Symbolik seiner westbalkanischen Herkunft wurzelte und er die Rollenbilder des Patriarchen und kämpferischen Helden in seiner visuellen politischen Selbstdarstellung übernahm.
Der Westbalkan war geprägt von einem patriarchalischen System des genossenschaftlichen Zusammenlebens, in der der Familienälteste über den Besitz und die Ehre des Familienverbands wachte. „Hajduken“, Männer, die den Familienverband verlassen mussten, da sie eine Gefahr für die Familie darstellten, lebten abseits der Gesellschaft von Wilderei und Diebstahl, galten im Familienkontext aber als Helden. Tito übernahm diese beiden Rollen in seine politische Selbstrepräsentation und stellte so eine enge Verbindung zur Bevölkerung her. In der Rolle als Staatsmann gab sich Tito als sozialistischer Vater (er nannte sich „stari“ – Familienältester) und seine Vergangenheit als Partisan ließ sich reibungslos in das Hajduken-Modell einpassen. Anhand von acht Fotografien zeigte Mišković, dass sich Tito vor allem zu Beginn seiner politischen Karriere als heldenhafter Genosse in militärischer Uniform oder als Patriarch und Vater der Nation darstellte. Später ging er dazu über, den Genossenstatus durch den des großen Staatsmanns zu ersetzen, ohne dabei die tradierten Rollenbilder des Helden und Patriarchen abzulegen.

In der kurzen Diskussion im Anschluss an die Referate kam die Frage auf, wieso Titos Wahl, sich als Patriarch und Kriegsheld zu präsentieren, als Einzelfall dargestellt werde, es handle sich doch um typische Attribute einer Führerperson. Die Referierenden erklärten, dass es ein ganzes Repertoire von Masken für Führerpersonen gebe, dass aber nicht jede Maske von jeder Führerperson glaubhaft „angezogen“ werden könne. Diesbezüglich stelle Tito einen Sonderfall dar, da er zwei seiner Eigenschaften (Partisan und jovialer Familienvorsteher) mit fest verankerten gesellschaftlichen Rollenbildern der Region Westbalkan (Hajduk und Patriarch des Familienverbands) verbinden konnte. Für weitere Fragen bezüglich der Rezeption der gezeigten Bilder und Montagen sowie der Methode der Bildanalyse blieb keine Zeit mehr. Das Panel regte aber zur weiteren Beschäftigung mit visueller Machtrepräsentation und mit der Bildwissenschaft im Allgemeinen an.

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Anmerkungen
1 Die Universität Basel arbeitet gegenwärtig an der Etablierung eins bildwissenschaftlichen Forschungszentrums.
2 Das Archiv liegt heute im Museum der Geschichte Jugoslawiens in Belgrad. Das Fotoarchiv ist online zugänglich unter: foto.mij.rs.


Panelübersicht:

Techet, Péter: Zur Visualisierung national motivierter, staatspolitischer und religiöser Konflikte im österreichisch-ungarischen Küstenland (1890-1914)

László, Joël: Der Gazi in der Montage. Zur semantischen Einbettung der Atatürk-Fotografie, 1919-1938

Mišković, Nataša: Held und Patriarch. Visuelle Konstruktionen von Macht und Männlichkeit im westlichen Balkan am Beispiel von Josip Broz Tito

Veranstaltung
4. Schweizerische Geschichtstage 2016
Organisiert von
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte und Universität Lausanne
Veranstaltungsdatum
Ort
Lausanne
Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference