Zerrissen zwischen Sozialismus und Freisinn. Die letzten zehn Jahre des Schweizerischen Grütlivereins (1915 – 1925)

AutorIn Name
Marco
Rauber
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Dr.
Juri
Auderset
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2022/2023
Abstract

Im Kontrast zur beträchtlichen Bedeutung, die der Grütliverein als eine der grössten schweizerischen Arbeiterorganisationen für die Geschichte der Schweiz hatte, wurde dessen Vereinsgeschichte in der bisherigen Forschung nur spärlich untersucht. Zwar beschäftigten sich Felix Müller und Erich Gruner in den 1980er Jahren intensiver mit der Thematik, allerdings fokussierten beide auf das 19. Jahrhundert bzw. auf die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg (1914) und boten darüber hinaus nur vereinzelt einen Ausblick. Die letzten zehn Jahre des Grütlivereins von 1915 – 1925, nachdem sich dieser wieder von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) abspaltete, mit der er 1901 fusioniert hatte, wurden dementsprechend in der Forschung noch kaum beachtet. Diese Forschungslücke soll mit der vorliegenden Arbeit gefüllt werden. Dabei wurde untersucht, wie sich der sozialdemokratische Grütliverein als politische Partei in diesem Zeitraum der Radikalisierung und der krassen Gegensätze positionierte. Ebenso wurde erforscht, wie sich dessen politische Überzeugungen und Forderungen wandelten und inwiefern er sich von den anderen Parteien abzugrenzen versuchte. Hierbei stand die Beziehung zur sozialdemokratischen „Schwesterpartei“ (SP) aufgrund der gemeinsamen Zeit und der anschliessenden Konkurrenzsituation im Mittelpunkt.

 

Als Fundament des Quellenbestands dienten die ausführlichen Jahresberichte sowie die zahlreichen Protokolle der Sitzungen des Zentralkomitees, der Delegiertenversammlungen und der Parteivorstandssitzungen. Zentral für die Arbeit waren ausserdem sowohl die Vereins- bzw. Parteizeitung Grütlianer, die fast bis zum Schluss als Tageszeitung erschien, als auch einige Broschüren, Pamphlete und andere Schriften, bei denen entweder der Zentralverband oder wichtige Parteiexponenten als Urheber erkennbar waren.Aufgrund des rudimentären Forschungsstands und der unübersichtlichen und turbulenten Zeitperiode wurde in dieser Arbeit vor allem mit der historisch-hermeneutischen Methode gearbeitet. Diese wurde jedoch angesichts der Fragestellung und des Quellenbestands durch diskursanalytische, funktional-systematische und historisch-vergleichende Ansätze ergänzt.In der Arbeit hat sich gezeigt, dass der Grütliverein nach seiner Abspaltung von der SP in hohem Masse eine verständigungsorientierte „Zwitterpartei“ blieb. Anders als die vermeintlich radikalisierte SP, die sich der Revolutionsund Demonstrationspolitik verschrieb, bekannte er sich weiterhin zum demokratischen Reformismus. Dies war unter anderem auch der Grund dafür, weshalb er den politischen Kampf anfangs in erster Linie gegen links führte und dabei eine Polemik benutzte, welche die Bürgerlichen ebenfalls rege gebrauchten.

 

Denn nur mithilfe einer als ausreichend extremistisch wahrgenommenen Konkurrenzpartei öffnete sich in diesem stark polarisierten politischen System eine entsprechende Lücke, in der sich der Grütliverein als linksgerichtete „Mittelpartei“ positionieren konnte.Dies führte jedoch von Beginn an zu einer unhaltbaren Zwiespältigkeit in der eigenen Positionierung, da sich zumindest der Zentralverband immer stärker auf die vermeintlich eindeutige Positionierung als sozialdemokratische Arbeiterpartei berief, die sich nicht mehr mit den „reaktionären“ Kräften des Bürgertums zusammentun durfte. Der im Jahr 1920 neu etablierte Bürgerblock und dessen politische Reaktion wurden nun auch vonseiten der Grütlianer als grösste Gefahr für das Land und die Arbeiterschaft wahrgenommen. Da unter dem starren Bürgerblock zudem auch die reformistische Politik vollends zum Erliegen gekommen war, verstärkten sich schliesslich auch bei den Grütlianern die Rufe nach radikaleren Methoden und revolutionären Zielen. Ebenso wurde nun die vormals verhasste Demonstrationspolitik vermehrt übernommen, was sich am deutlichsten in der demonstrativen Ablehnung des Militärbudgets zeigte.

 

In der Folge kam es zu einer erneuten Annäherung an die SP, insbesondere weil sich nun auch bei den Grütlianern vermehrt die Erkenntnis durchsetzte, dass diese gar nicht (mehr) so extrem war, wie sie es parteipolitisch gerne gehabt hätten. Die anschliessenden massenhaften Übertritte zur SP bedeuteten aber gleichwohl keine Entspannung in der gegenseitigen Beziehung, da die SP sich nach wie vor als alleinige Arbeiterpartei ansah. Dies und das gleichzeitig extrem polarisierte politische System führten schlussendlich zu einer fast kompletten parteipolitischen Isolierung der Grütlianer, was die parteiinternen Positionierungskämpfe zwischen dem rechten und dem grösseren linken Flügel auf die Spitze trieb.

 

Da der Grütliverein politisch gelähmt wurde, wurden die Scherkräfte im Inneren als umso grösser wahrgenommen und führten letztendlich zum Niedergang. Der Grossteil des linken Flügels schloss sich 1925 offiziell wieder der SP an, während Teile des rechten Flügels zu den Demokraten bzw. der FDP übertraten.

Zugang zur Arbeit

Bibliothek

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