Im Flug. Schweizer Airlines und Passagiere 1919-2002

AutorIn Name
Benedikt
Meyer
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof. Dr.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut, Universität Bern
Ort
Bern
Jahr
2012/2013
Abstract
Die Arbeit wurde publiziert: Zürich, Chronos Verlag 2014 (Verkehrsgeschichte Schweiz 2) Die Dissertation untersucht, welche Entwicklungen im Schweizer Luftverkehr im gewählten Untersuchungszeitraum zwischen 1919 und 2002 überhaupt stattfanden, welches die wichtigsten Triebfedern und Hemmnisse der Entwicklungen waren, welche langen statistischen Reihen sich erstellen lassen und welches die wichtigsten Zäsuren waren. Zudem wird gefragt, wie der Markt strukturiert war, welche Geschäftsmodelle erfolgreich waren, welche Nischen und Segmente bedient wurden sowie welches die wichtigsten Akteure waren und in welchem Verhältnis diese zueinander standen. Weiter geht es darum zu erkunden, welche Rolle Bund und Kantone spielten, wie sich die erstaunliche Stellung erklären lässt, welche sich die Swissair im internationalen Luftverkehr erarbeitete, und welche Faktoren zum Niedergang der Airline führten. Aber auch die transportierten Menschen sowie die allgemeine Öffentlichkeit werden in der Studie berücksichtigt: Wie viele Personen waren zu welchem Zeitpunkt per Flugzeug unterwegs? Wer waren diese Menschen, zu welchem Zweck reisten sie, welches Erlebnis bot eine Flugreise und was kostete sie? Und wie wurde der Luftverkehr von der Öffentlichkeit wahrgenommen? Methodisch wird ein primär wirtschafts- und unternehmensgeschichtlicher Zugang für die Angebotsseite und ein sozial- und kulturhistorischer für die Nachfrageseite gewählt. Thematisch ist die Arbeit in der (vergleichenden) Verkehrsgeschichte sowie in der Sozial- und Tourismusgeschichte verortet. Dabei stehen Themen wie das Mobilitätsbedürfnis sowie internationale Bezüge im Vordergrund. Der Autor sieht den Flugverkehr als ein Beispiel für Large Technical Systems im Sinne von Thomas P. Hughes. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gründeten private Investoren erste AviatikUnternehmen. Diese konnten allerdings nicht kostendeckend betrieben werden. Aus militärischen, wirtschaftlichen, kolonialpolitischen und prestigetechnischen Überlegungen unterstützten daraufhin die Staaten die Fluggesellschaften. Sie initiierten Zusammenschlüsse und förderten regelmässige Linienverbindungen. Die Flugmaschine mutierte damit zum öffentlichen Transportmittel. Da das Flugzeug zu Beginn mit den etablierten Verkehrsmitteln weder bezüglich des Preises, noch der Verlässlichkeit, des Komforts, der Geschwindigkeit oder des Publikumsvertrauens mithalten konnte, liessen sich zunächst nur wenige Kunden finden. Die Lage verbesserte sich zwar im Verlauf der Zwischenkriegszeit, doch blieb gerade das fehlende Vertrauen in die Sicherheit von Flugreisen ein Hemmnis der Verkehrsentwicklung. Der Zweite Weltkrieg veränderte die Luftfahrt wesentlich in ihren Ausmassen, ihrer Technik und ihren Möglichkeiten. Die zivile Luftfahrt kam bei Kriegsausbruch vorerst zum Erliegen, bald danach fand aber wieder ein eingeschränkter Liniendienst statt. Dabei ist typisch, dass sich ziviler und militärischer Bereich – in der Luftfahrt aber auch in der Wirtschaft allgemein – während des Krieges nur begrenzt unterscheiden liessen. Während Inlandsflüge in der Schweiz gänzlich ausfallen mussten, konnten internationale Flüge nur mit erheblichem diplomatischem Aufwand arrangiert werden. In den ersten Nachkriegsjahren erlebte die Schweizer Luftfahrt eine ausgesprochen turbulente Zeit. In einem Umfeld politischer Kräfteverschiebung und unsicherer wirtschaftlicher Erholung intervenierte die Politik in massiver Weise in die Verkehrsfliegerei. Die im Krieg beschlossene neue Infrastruktur wurde in den ersten Friedensjahren gebaut, daneben wurde unter Bundesrat Celio die Vereinigung von Alpar und Swissair quasi von oben verfügt. Ab 1947 flog die Swissair als gemischtwirtschaftliches Unternehmen und ab 1950 verfügte sie über ein gesetzlich geschütztes Monopol für Linienflüge. Die Einmischung des Bundes stärkte die wachstumsorientierten Kräfte innerhalb des Verwaltungsrates, die Swissair baute ihren Flugzeugpark und ihr Streckennetz innerhalb Europas wesentlich aus. Langstreckenflüge konnten allerdings aufgrund mangelnder Rentabilität und beschränkter finanzieller Ressourcen erst vergleichsweise spät aufgenommen werden. Die Passagiere reisten unmittelbar nach Kriegsende noch oft aus Kriegsgründen: Emigranten verliessen den Kontinent, Unternehmer, Bürokraten, Militärs betrieben seinen Wiederaufbau. Im Zuge des Wirtschaftsbooms der 1950erJahre nahm der Luftverkehr markant zu, wobei der rapide wachsende Transatlantikverkehr Prestige und bald auch erheblichen Gewinn einbrachte. Die Kartellstruktur des Marktes, die grösseren Aktionsradien und das immer ähnlichere Flugmaterial führten dazu, dass sich die Gesellschaften verstärkt über Nationalität und Service positionierten. Unter der Leitung des neuen Direktors Walter Berchtold baute die Swissair den Flugbetrieb stark aus, wobei der Linie nach den USA die grösste Bedeutung zukam. Neue Strecken eröffnete die Swissair 1954 nach Südamerika und 1957 nach Ostasien. Berchtold gelang es, eine auf ökonomischen Realismus und guten Service ausgelegte Firmenkultur aufzubauen. Mit dem unverwechselbaren Signet wurden in den 1950erJahren weitere Schritte in der Entwicklung einer international beachteten Marke getan. Die breite Öffentlichkeit sah in der Luftfahrt ein Symbol für Aufbruch und Fortschrittsgeist der 1950er-Jahre und in der Swissair ein Sinnbild für die Erfolge der Schweiz. Die 1960er-Jahre waren geprägt durch die Segnungen eines immer grösseren Wohlstands und eines beeindruckenden technischen Fortschritts. Dazu gehörte auch die Einführung des Jet-Triebwerks in der Zivilluftfahrt, welches Kapazitäten und Aktionsradien erheblich vergrösserte und die Rentabilität markant erhöhte. Die Swissair flog beträchtliche Gewinne ein, was ertragsseitig in erster Linie durch das konkurrenzarme IATA-System1 und die ungemein ertragsstarken Flüge in die USA bedingt war, kostenseitig primär auf die Einführung von JetFlugzeugen, den sinkenden Ölpreis und die mittels Computertechnologie verschlankte Verwaltung zurückzuführen war. Das Spektrum der Passagiere wurde heterogener und gewöhnlicher, das Reiseerlebnis tendenziell reizärmer und profaner. Von Lärmdebatten in Flughafennähe abgesehen, war das Ansehen der Luftfahrt im Allgemeinen und der Swissair im Besonderen äusserst positiv. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit geriet in den frühen 1970er-Jahren ins Stocken und mit der Ölkrise und dem Übergang zu flottierenden Währungen definitiv an sein Ende. In der Luftfahrtbranche wurden die Kapazitäten mit der Einführung von Jumbo-Flugzeugen (ab 1970/1971) markant vergrössert, für die Fluggesellschaften brachte der zusätzliche V erkehr aber kaum grösseren Profit, da aufgrund des stark gestiegenen Angebots und der krisenbedingt eher zögerlichen Nachfrageentwicklung die Preise gesenkt werden mussten. Besonders heftig umstritten war die ehemalige Prestigestrecke zwischen Europa und den USA, wo sich in den 1970erJahren kaum mehr profitabel operieren liess. Die Swissair konnte ihre Ausfälle in dieser Region mit guten Resultaten in anderen Weltgegenden kompensieren, wobei ihr namentlich die stabile Tarifsituation in Europa, der Aufschwung in Asien und ihre starke Position auf dem afrikanischen Markt entgegenkamen. Zugleich konnte sie sich weiter erfolgreich als Airline mit gehobenen Standards positionieren, was ihr einen höheren Anteil hochtarifierter Erste-Klasse-Reisender bescherte. Der europäische Luftverkehr wuchs in den Jahren 1978 bis 1990 weiter an, wobei die erste Hälfte der Periode von Ölpreisund Währungsturbulenzen überschattet war. Nach dem amerikanischen Entscheid zur Liberalisierung wurden auch in Europa gewisse Liberalisierungstendenzen bereits vorweggenommen, so verschiedene gesetzliche Bedingungen, die stärkere Ausrichtung auf Hub-and-Spokes-Netzwerke oder die höhere Gewichtung des Marketings. Im Schweizer Luftverkehrsmarkt ergaben sich namentlich zwei Besonderheiten: der weiterhin ungewöhnlich tiefe Verkehrsanteil der Charter-Anbieter und die weiterhin starke Position der Swissair auf dem Nordatlantik. Die Airline machte hier wieder erhebliche Gewinne, während in Europa Verluste resultierten. Die Zahl der Reisenden nahm weiter zu, wobei Flugreisen bald für mehr oder minder jedermann erschwinglich waren. Flugreisen reiften damit zum durchorchestrierten Massenprodukt, womit nicht nur die Kosten sanken, sondern auch der Status. Die Liberalisierung des Luftverkehrs löste in den 1990er-Jahren massive Umwälzungen in Europa aus. Für die Airlines brachten sie erweiterte Handlungsspielräume aber auch zusätzliche Konkurrenz und schmelzende Margen. Die Passagiere gaben sich trotz oder wegen fallender Ticketpreise zunehmend preissensibel, das Servicespektrum wurde vor allem gegen unten erweitert. 1995 übernahm die Swissair de facto die Sabena, in den Jahren 1998 bis 2000 kamen diverse weitere defizitäre Airlines dazu. Dieses Konzept „Hunter“ sollte der SAirGroup zu einer kritischen Grösse verhelfen, brachte sie aber im Gegenteil in eine kritische Schieflage. Der Abbruch der Strategie rettete das Unternehmen nicht mehr, weshalb Anfang Oktober 2002 die Crossair aus der Gruppe herausgelöst und die SAirGroup in Liquidation geschickt wurde. Die Regionalfluggesellschaft, welche in den 1990er-Jahren ihren Betrieb massiv ausgebaut hatte, sollte Teile der Swissair übernehmen und diese quasi ersetzen. Dieser Plan war aber ungenügend vorbereitet worden, sodass es am 2. 10. 2001 zur ungeplanten und chaotischen Stilllegung des Flugbetriebs kam – inklusive massiver wirtschaftlicher und emotionaler Flurschäden. Bund und Privatwirtschaft mussten in der Folge total rund vier Milliarden Franken investieren, um die Swissair bis zum Frühling 2002 weiter betreiben und die Crossair zur Nachfolgegesellschaft Swiss ausbauen zu können. In der Öffentlichkeit wich der Schock bald einem Zorn, der sich primär gegen die involvierten Banken richtete. Später wich dieses Gefühl einer oft sentimental vorgetragenen Swissair-Wehmut.

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