Den Untersuchungsgegenstand dieser Studie bildet die 1859-1869 realisierte geostrategisch wichtige Schifffahrtsverbindung von Port Said nach Suez. Anhand des vom französischen Erbauer Ferdinand de Lesseps (1805-1894) hinterlassenen, so umfangwie facettenreichen Quellenkorpus wurde die Frage zu beantworten versucht, inwieweit das informelle imperialistische Projekt im Zuge der wirtschaftlichen Boomjahre der Jahrhundertmitte und der gleichzeitigen Nationalbewegungen von nichtstaatlichen Akteuren auf einer transnationalen Ebene angegangen wurde. Im bereits vom ambitiösen Napoleon zwecks Eindämmung der ökonomischen und geopolitischen britischen Dominanz im Rahmen seiner Ägyptenexpedition angedachten Kanalbau sahen später die fortschrittsgläubigen frühsozialistischen Saint-Simonisten einen Weg zur allseitig Prosperität versprechenden Vereinigung von Orient und Okzident. Auf der Grundlage der Machbarkeitsstudien, die vom Saint-Simonismus beeinflusste europäische Ingenieure ausgearbeitet hatten, trieb Lesseps unter dem Leitspruch „aperire terram gentibus“ das Projekt mit Hilfe seines Jugendfreunds Muhammad Said Pascha (1822-1863), ab 1854 innerhalb des Osmanischen Reichs Vizekönig Ägyptens, hinsichtlich Planung, Finanzierung und Ausführung voran. Mit der Gründung der von Said Pascha konzessionierten privaten „Compagnie universelle du canal maritime de Suez“ 1858 schuf der ehedem aus dem diplomatischen Dienst entlassene Lesseps in der von Eric J. Hobsbawm beschriebenen „Blütezeit des Kapitals“ ein globale Interessen beförderndes institutionalisiertes Vehikel. Nachdem es jedoch Lesseps trotz intensiven Lobbyings und hartnäckiger Fundraisingmethoden auf seinen Reisen quer durch Europa nicht gelungen war, in möglichst vielen Staaten, um der globalen Ausrichtung der Aktiengesellschaft gerecht zu werden, das erforderliche Kapital aufzutreiben, während die Anteile bei französischen Kleinbürgern aus patriotischen Gründen sehr begehrt waren, stellte der ägyptische Staat der Finanzierungs-, Bauund Betriebsgesellschaft die fehlenden Mittel zur Verfügung. Vor dem Hintergrund der sich gemäss Jürgen Osterhammel im 19. Jahrhundert gegenüber den Nationalstaaten behauptenden Imperien sind transnationale Phänomene im herangezogenen Quellenkorpus konkret identifizierbar, wenn beispielsweise Schifffahrtsgesellschaften wie die „Peninsular and Oriental Steam Navigation Company“ oder der „Österreichische Lloyd“, englische Werften und Baumwollmanufakturen, die während des amerikanischen Bürgerkriegs unter einer Rohstoffverknappung litten und Ägypten als Ersatzlieferanten ausmachten, aufstrebende Hafenstädte wie Odessa, von wo aus begehrtes Getreide verschifft wurde, oder Bankiers aus Triest, der Ausgangspunkt des „Österreichischen Lloyd“, oder Boston ihre spezifischen Interessen von der Suezkanal-Gesellschaft ebenso gut oder gar besser abgedeckt sahen, wie von der politischen Agenda ihrer jeweiligen Regierungen. Ferner streute Lesseps in seine schriftliche Hinterlassenschaft einige dem global ausgerichteten Unternehmen wohlgesinnte Presseartikel ein, so auch von der an der Kaproute gelegenen Insel Mauritius, wo man angesichts eines drohenden Bedeutungsverlusts nach der Verlagerung dieser Schifffahrtsroute um Neuorientierung bemüht war. Aus Furcht, die Kontrolle über die Verkehrsverbindung nach Asien zu verlieren, weshalb man den ägyptischen Machthabern die Zustimmung zum Konkurrenzprojekt des Baus einer Eisenbahnstrecke Alexandria-Kairo-Suez abtrotzte, und im Kontrast zur inoffiziellen Unterstützung aus der britischen Geschäftswelt hintertrieb die Regierung Palmerstons mit ihrer nationale Rivalitäten befeuernden Politik vor dem Hintergrund britisch-französischer Bündnisse kontinuierlich, aber mit schwindendem Erfolg, die Realisierung des Kanals. Im Wesentlichen geschah dies durch diplomatische Interventionen beim Sultan in Konstantinopel, auf dessen Approbation die Konzessionsnehmer letztlich angewiesen waren. Der den Kanalbau wegen nationalen Prestigeversprechens befürwortende Napoleon III. verhielt sich demgegenüber untypischerweise betont passiv, um nicht einen britischfranzösischen Konflikt vom Zaun zu brechen, was Lesseps den für ein transnationales Vorgehen notwendigen Freiraum verschaffte. Erst nach der Fertigstellung wurde das Projekt von englischer Seite her offiziell gewürdigt, und ironischerweise war es Grossbritannien, das schliesslich am meisten davon profitierte. Infolge der nur halbwegs konkretisierten saint-simonistischen Vision, der kolonialen britischen Machtübernahe 1882 und von den Modernisierungskosten finanziell ausgezehrten Land Ägypten rückte eine verhängnisvolle kulturelle Kluft ins Bewusstsein, die in die Suezkrise von 1956 mündete.
Ferdinand de Lesseps und der Bau des Suezkanals: Transnationaler Imperialismus bei der Realisierung eines Modernisierungsprojekts des 19. Jahrhunderts
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2011/2012
Abstract