Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2020/2021
Abstract
Der Zweite Weltkrieg, Nazideutschland und die Judenvernichtung sind Themen, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder analysiert, untersucht und rekonstruiert wurden. Während des Zweiten Weltkriegs waren in der Schweiz mehr als 100000 fremde Militärpersonen interniert. Davon waren etwa 20% sogenannte ‚entwichene Kriegsgefangene‘. Als entwichene Kriegsgefangene wurden nur diejenigen Militärpersonen behandelt, die im Verlauf von Kriegshandlungen gefangengenommen worden waren und danach aus der Gefangenschaft in die Schweiz entkommen konnten. Diese Arbeit thematisiert die Arbeits- und Internierungslager der Schweiz, in denen die Schweizer Behörden zwischen den Jahren 1942 und 1945 die entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen internierten.
In der Masterarbeit wird untersucht, wie diese Flüchtlinge in der Schweiz behandelt wurden, welchen Einfluss die Einführung der Arbeitspflicht für Ausländer in der Schweiz auf sie hatte und welche Konsequenzen die strikte Linie der Schweizer Behörden gegen die Verbreitung des Kommunismus für die entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen nach sich zog. Darüber hinaus wird hinterfragt, ob die Misshandlungsvorwürfe in der russischen Zeitung Iswestija zutreffend waren. Zudem wird der Aufbau der Arbeitsund Internierungslager intensiv erforscht, um die Lebensbedingungen der sowjetischen Internierten nachzuzeichnen.
Im Bundesarchiv Bern, im Archiv der ETH Zürich für Zeitgeschichte sowie im schweizerischen Sozialarchiv in Zürich wurden sämtliche Quellen analysiert, die direkt oder indirekt mit den entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen in Verbindung standen. Da die Quellenlage nur die Sicht der Schweizer Behörden sowie der Schweizer Beteiligten widerspiegelt und nur sehr wenige sowjetische Zeitzeugnisse verfügbar sind, wird das Quellenmaterial auch aus einer lebensweltlichen Perspektive betrachtet, um die sowjetischen Lebenswelten in der Schweiz zu erfassen. Damit soll eine einseitige Reproduktion des Themas verhindert werden. Die Arbeit bedient sich einer Mischform aus quantitativer und qualitativer Analyse, um eine induktive Reproduktion der Erfahrung der entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen zu generieren.
Die essenziellen Strukturen der Arbeitsund Internierungslager der Schweiz, die in den Jahren 1942 bis 1945 für die entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen gebaut wurden, werden rekonstruiert. Dabei stehen nicht nur materielle Strukturen im Vordergrund, die von besonderer Bedeutung für die sowjetischen Internierten waren – so etwa der Aufenthaltsraum, wo Musik gehört werden konnte – sondern auch die personellen Strukturen der Schweizer Lager. Von zentraler Bedeutung stellt sich die fehlende politische Vertretung der Sowjetunion in der Schweiz heraus.
Einer der Schwerpunkte dieser Arbeit betrifft die Untersuchung der Arbeitswelt der entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen. Nachdem die ersten Flüchtlinge über die Grenze kamen, wurden diese in der Landwirtschaft eingesetzt. Es wird aufgezeigt, wie die Arbeitsmoral der entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen mit der Zeit mehr und mehr sank. Als problematisch wird die unterschiedliche Arbeitskultur der beiden Länder identifiziert. Durch die fehlende politische Vertretung gab es seit dem Generalstreik 1918 in der Schweiz keinen Austausch mit der Sowjetunion mehr, sodass die beiden Parteien in den Arbeits- und Internierungslagern keine Vorkenntnisse bezüglich der jeweiligen kulturellen Unterschiede hatten.
Nicht nur bei der Arbeit kam es zu Konfrontationen. Die Analyse des Quellenmaterials zeigt auf, wie die Restriktionen der Schweizer Behörden die entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen isolierten, sodass ihre Lebenswelt stark reduziert wurde. Die Alkoholexzesse im Ausgang waren ein Ventil für die sowjetischen Internierten, führten jedoch unter anderem zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der zivilen Bevölkerung sowie zu zwei Todesfällen.
Gegen Ende der Internierungszeit erhob die sowjetische Zeitung Iswestija schwere Vorwürfe gegenüber der Schweiz, in denen von Misshandlungen und Folter in den Arbeitslagern gesprochen wurde. Diese Vorwürfe werden aufgegriffen und die Quellen im Hinblick auf die tatsächliche Behandlung der Internierten begutachtet. In diesem Zusammenhang wird auch das Thema des Kommunismus aufgegriffen und gezeigt, wie Schweizer Kommunisten versuchten, Einfluss auf die Internierten zu gewinnen. Weiterführend wird dargestellt, wie diese unter den daraus resultierenden Gegenmassnahmen litten.
Zuletzt werden die Schweizer Medien untersucht und es wird gezeigt, wie unterschiedlich bezüglich der entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen berichtet wurde. Diese Arbeit vermittelt einen Einblick in das harte Leben der entwichenen sowjetischen Kriegsgefangenen in der Schweiz sowie deren Schwierigkeiten. Die Untersuchung kann jedoch auch zeigen, dass keine Hinweise gefunden wurden, die die Misshandlungsvorwürfe bekräftigen könnten.