Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2017/2018
Abstract
Die pietistische Basler Mission wurde 1815 in Basel als Männermission gegründet, um Missionare zur Verbreitung des christlichen Glaubens auszubilden und nach Übersee auszusenden. Frauen als Mitarbeiterinnen waren von dem männlich geführten Missionskomitee nicht vorgesehen. Auf Druck der Missionsangestellten wurden aber seit 1842 auch unverheiratete Frauen, sogenannte Schwestern, ausgesandt, um sich um die weibliche „heidnische“ Bevölkerung zu kümmern. Für die Geschlechtergeschichte stellen Missionsgebiete insbesondere hinsichtlich des 19. Jahrhunderts ein interessantes Forschungsfeld dar. Entgegen den in Europa geläufigen und von Karin Hausen beschriebenen Geschlechtercharakteren übernahmen diese Schwestern in der Äusseren Mission „männliche“ Aufgaben oder mussten sich männlich konnotierte Eigenschaften aneignen, um auf dem Missionsfeld ihre Arbeit erfüllen zu können. Paradoxerweise sollten sie aber gleichzeitig dem sich unterordnenden, demütigen, frommen Frauenideal entsprechen. Durch die widersprüchlichen Verhaltensforderungen kam es auf dem Missionsfeld immer wieder zu Devianz und Konflikten. Da die Missionsordnung verlangte, Verfehlungen und Konflikte anzuzeigen, wurde Devianz in Briefen dem Missionskomitee in Basel gemeldet, das Stellung bezog und die Funktion der Sanktionierung übernahm. In der Arbeit wird das Wechselspiel von Norm und weiblicher Devianz innerhalb der patriarchalisch geführten Basler Mission anhand von handschriftlichen Protokollen und Briefen sowie gedruckten Broschüren aus dem Archiv der Mission 21 untersucht. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Zeit zwischen 1842 (Aussendung der ersten Schwester) und 1914 (Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der zur Rückberufung der Missionsangestellten führte) sowie auf die Missionsgebiete Indien und die Goldküste (heutiges Ghana). Methodisch gesehen wird hauptsächlich qualitativ gearbeitet und eine hermeneutische Auswertung der Primärquellen durchgeführt, teilweise wird aber auch quantitativ verfahren und gerade im ersten Teil der Arbeit diskursanalytisch vorgegangen. Es wird mit Konzepten aus der Geschlechtergeschichte (Geschlechtercharaktere) und Alltagsgeschichte (Eigen-Sinn von Alf Lüdtke) gearbeitet und für die Begriffsklärung von Norm und Devianz auf soziologische Ansätze zurückgegriffen. Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird die Entwicklung der Norm innerhalb der Basler Mission bezüglich der Schwestern analysiert und mit gesellschaftlichen Entwicklungen in Verbindung gebracht. Im zweiten Teil werden anhand von Fallbeispielen Formen weiblicher Devianz, deren Sanktionierung und Einfluss auf die Strukturen der Basler Mission untersucht sowie zeitliche und räumliche Unterschiede herausgearbeitet. Wie sich in der Arbeit zeigt, divergierte der normative Diskurs rund um die Stellung unverheirateter Frauen gegen Ende des Untersuchungszeitraums immer stärker von den gesellschaftlichen Liberalisierungstendenzen. Zudem wurde weibliche Devianz zunehmend häufiger und härter sanktioniert. Dies lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass sich die Basler Mission wie die meisten pietistischen Organisationen vehement von der erstarkenden Frauenbewegung distanzieren wollte und dies in reaktionären Gesten zementierte. Zum anderen wurde der Zweig der Frauenarbeit innerhalb der Basler Mission professionalisiert, was dazu führte, dass weibliche Devianz schon während der Ausbildungszeit und neu auch in Probezeiten erkannt und aussortiert werden konnte. Es zeigen sich auch räumliche Unterschiede zwischen den Missionsgebieten. Zum einen unterscheiden sich die Devianzthemen, was vor allem durch kulturelle Unterschiede und andere Aufgaben der Schwestern in Indien und an der Goldküste erklärbar ist. Zum anderen ist in Indien eine Entwicklung hin zu Devianz aufgrund von emanzipatorischen Themen vorhanden, was sich in den Quellen zur Goldküste nicht ausfindig machen lässt. Die Analyse zeigt, dass dieser Unterschied auf die verstärkte Förderung der Frauenmission in Indien zurückzuführen ist, die das Selbstverständnis und die Solidarität unter den Schwestern stärkte und so kritische und emanzipatorische Stimmen förderte. Weibliche Devianz und schwesterlicher Eigen-Sinn waren meist situativ und nicht auf ein grösseres Ziel hin ausgerichtet. Punktuell konnte dadurch die Normgebung beeinflusst werden, aber nicht zugunsten, sondern zum Nachteil der Schwestern. Ein Einfluss auf die Gesamtstrukturen der Basler Mission wurde so nicht erreicht.