Zehntausende Deutsche wanderten im 18. und 19. Jahrhundert nach Russland aus. Sie wurden von günstigen Bedingungen in Russland angezogen. Auf der anderen Seite standen wirtschaftliche und politische Schwierigkeiten im Herkunftsland. Bei der Gruppe aus Württemberg, mit der sich die Lizentiatsarbeit befasst, trugen religiöse Motive (Chiliasmus) wesentlich zur Auswanderung bei. Diese Gruppe bestand aus mehreren tausend Personen, die 1816–1819 nach Transkaukasien (heutiges Armenien, Georgien und Aserbaidschan) zogen, wo sie sieben Dörfer (Kolonien) aufbauten.
Die Basler Mission, 1815 gegründet, fand in Transkaukasien ihr erstes eigenes Missionsfeld und sandte anfangs der 1820er Jahre die ersten Basler Missionare aus. Diese konzentrierten sich zunächst auf die Missionierung der „Heiden“. Allmählich rückten jedoch die christlichen Völker in den Vordergrund. Sie sollten zu „guten Christen“ erzogen werden, um den Muslimen ein Vorbild zu sein. Diese Bemühungen stiessen namentlich bei den Armeniern auf Widerstand und führten schliesslich dazu, dass die Missionstätigkeit 1835 verboten wurde. Abgesehen von wenigen Jahren blieb es der Basler Mission aber während des ganzen 19. Jahrhunderts erlaubt, zur Betreuung der deutschen Kolonien Pastoren auszusenden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verliessen über 20 ausgebildete Missionare Basel und übernahmen die Pastorierung transkaukasischer deutscher Kolonien. Dazu mussten sie aus der Basler Mission austreten und russische Untertanen werden; sie galten als Staatsangestellte und erhielten etwa die Hälfte ihres Lohns vom Staat ausbezahlt. Die meisten Pastoren blieben mit der Basler Mission in Kontakt. Sie verfassten regelmässig Briefe an den Missionsleiter (Inspektor), in denen sie über ihre Tätigkeit berichteten und teilweise auch um Rat fragten. In den Briefen gegen Ende ihrer Amtszeit im Kaukasus dominierten Fragen bezüglich ihrer Nachfolge sowie einer Beschäftigung nach ihrer Rückkehr.
Ziel der Arbeit war es, einen wesentlichen Teil der Briefe, die aus der Feder der Pastoren nach Basel gelangten, zu lesen und – unter Einbezug weiterer Dokumente (zum Beispiel Lebensläufen) aus den sogenannten Personalfaszikeln – auszuwerten. Die in Kurrentschrift verfassten Briefe sind praktisch lückenlos im Archiv der mission21 verfügbar. Das Quellenstudium war von zwei Fragen geleitet: (1) Wie war der typische Basler Missionar? (2) Wie attraktiv war eine Pastorenstelle im Südkaukasus? Ein etwa zehnseitiges Fallbeispiel steht am Anfang der Lizentiatsarbeit. Es handelt sich um eine Kurzbiografie des Baslers Johannes Mayer (1868 bis mindenstens 1922). In den drei dem Fallbeispiel folgenden Kapiteln galt es, den Kontext aufzuarbeiten, wobei starkes Gewicht auf das Religiöse gelegt wurde. In groben Zügen werden die Umstände der Auswanderung aus Deutschland und der Einwanderung und Ansiedlung in Russland sowie die Entwicklung der Kolonien während des 19. Jahrhunderts dargestellt. Nach einem Überblick über die Basler Mission werden im letzten Kontextteil die beiden Teile kombiniert: Die Basler Mission in den transkaukasischen Kolonien. Die Berufung dieser Basler Pastoren nach Transkaukasien war das bedeutendste Privileg, dass die russischen Regierung den Kolonien zugestand. Auf den verbleibenden 50 Seiten werden die Quellen ausgewertet. Anhand zahlreicher Diagramme und Tabellen gewinnt „der typische Basler Missionar“ zunehmend an Konturen. Er war Bauer oder Handwerker, stammte aus Württemberg, trat in seinen frühen 20ern in die Misssionsschule ein und reiste vorerst meistens ledig nach Transkaukasien aus. In der Lizentiatsarbeit werden – jeweils immer aus den Briefen der Pastoren rekonstruiert – das Verhältnis der Basler Pastoren zur Missionsleitung, zu den Kolonialgemeinden und zu ihren Amtsbrüdern geschildert.
Das Fallbeispiel über Johannes Mayer erweist sich als atypisch, dies nicht zuletzt wegen seiner Herkunft aus Transkaukasien selber. Aus der Unter suchung der Lebensläufe und Briefe wird zudem klar, dass Transkaukasien für den typischen Basler Pastor – auch hier bildete Mayer eine Ausnahme – nicht attraktiv war; die Basler Pastoren hätten fast ausnahmslos eine Stelle als „Heidenmissionar“ bevorzugt.
Obwohl aus Zeitgründen nicht alle Briefe in die Untersuchung einbezogen werden konnten, gelang es, viel Typisches herauszufinden. Würden alle archivierten Dokumente gesichtet, müssten die Ergebnisse wohl dennoch modifiziert werden. Eine Unterscheidung der Pastoren nach Gesichtspunkten der regionalen Herkunft und des Aufenthaltszeitpunkts in Transkaukasien wäre sinnvoll.
Die Pastoren der Basler Mission und die transkaukasischen Kolonien im 19. Jahrhundert
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Windler
Kodirektion
Prof. Dr. Heiko Haumann
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract