Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Arndt
Brendecke
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2010/2011
Abstract
Die Studie beschäftigt sich mit der NicaraguaSolidarität in der Schweiz der 1980er Jahre. Nach dem erfolgreichen Umsturz in Nicaragua 1979 entwickelte sich in der Schweiz eine soziale Bewegung, die sich für das revolutionäre Projekt in Übersee einsetzte. In dieser Arbeit wird den Fragen nachgegangen, wie sich die Bewegung formierte, was Solidarität im Einzelnen bedeutete und welche Implikationen das Engagement für die Schweizer Innenpolitik hatte.
Am 19. Juli 1979 eroberte die sandinistische Befreiungsbewegung FSLN in Nicaragua die politische Macht. Nach dem Sieg kam es in Nicaragua zu einem umfassenden sozialen, politischen und ökonomischen Wandel. Die Revolution wurde für die radikale Linke Westeuropas zu einem Hoffnungsträger: „Es wurde zu ihrem Spanien, nachdem das neue Chile am 11. September 1973 gescheitert war.“ Ab 1978 entwickelten sich in der Schweiz die ersten Unterstützungskomitees zugunsten der Befreiungsbewegung, doch erst die erfolgreiche Revolution führte zu einer breiten Mobilisierung. Im Herbst 1979 schlossen sich die Solidaritätskomitees auf nationaler Ebene zur „Nationalen Koordination der Nicaragua-Solidaritätskomitees“ zusammen und formierten ein gemeinsames Sekretariat. Mitverantwortlich für die erfolgreiche Aktivierung war die Revolutionäre Marxistische Liga RML, welche einen starken Einfluss auf die Nicaragua-Solidarität ausübte.
Die Studie basiert im Wesentlichen auf den Akten des Zentralamerika-Sekretariats, welche im Sozialarchiv Zürich überliefert sind. Der erste Teil widmet sich den Mobilisierungsprozessen der Nicaragua-Solidarität. Zentrale Aktivierungsereignisse werden herausgearbeitet und ausgewählte Komitees in ihrem lokalen Kontext beleuchtet. Der zweite Teil wendet sich konkreten Inhalten der Solidarität zu und bildet den Schwerpunkt dieser Studie.
Ab Herbst 1979 machte sich die Nationale Koordination für „Bedingungslose Hilfe“ an Nicaragua stark. Sie finanzierte Aufbauprojekte in Nicaragua und nutzte diese, um politische Inhalte in der Schweiz zu vermitteln. Die Wahl der Projekte orientierte sich dabei stark am „politischen“ Nutzen: keine humanitären Projekte, sondern Beispiele für die Leistungen der Revolution sollten geschaffen werden. Das jährliche Spendenvolumen der Bewegung betrug zwischen SFr. 200'000.und SFr. 550'000.und ist mit dem eines kleinen Hilfswerks vergleichbar. Mit dem Amtsantritt von Ronald Reagan als amerikanischer Präsident im Jahr 1981 endeten schliesslich die „Flitterwochen“ der Revolution. Die USA gingen in Frontstellung zu Managua, finanzierten die Contra und verhängten wirtschaftliche Sanktionen. Nach der amerikanischen Intervention auf Grenada 1983 stieg die Gefahr einer US-Invasion in Nicaragua. Innerhalb Nicaraguas hatte sich eine politische und militärische Opposition gebildet, welche den Machtanspruch der Sandinisten in Frage stellte. Die NicaraguaSolidarität passte alsdann ihre Solidaritätsarbeit den veränderten Bedingungen innerhalb des Landes an. Sie erhöhte den politischen Preis einer direkten Intervention, indem sie Solidaritäts-Brigaden nach Nicaragua schickte und Proteste gegen eine allfällige Intervention vorbereitete. Allein 1984 weilten über 140 Brigadisten in Nicaragua und arbeiteten in Aufbauprojekten mit. Die Anwesenheit von Ausländern in den Grenzregionen Nicaraguas sollte die USA vor einer militärischen Intervention abschrecken. In der Schweiz fand 1983 das „Forum der Solidarität mit Zentralamerika“ statt, welches die Solidaritätsarbeit für weitere Gesellschaftssegmente öffnete. So konnten Gewerkschaften, Kirchen und Hilfswerke adressiert und zu ihrem Verhältnis zu Nicaragua und den Befreiungsbewegungen in Zentralamerika befragt werden.
Der letzte Teil der Arbeit wirft einen Blick auf das Schicksalsjahr 1986. Im Frühjahr 1986 wurde der Schweizer Maurice Demièrre in Nicaragua durch die Contra getötet. Bis zum Sommer führte die Contra ihre Angriffe gegen Schweizer Hilfsprojekte fort, zerstörte mehrere Einrichtungen und tötete 20 Mitarbeitende, darunter einen weiteren Schweizer Staatsbürger. In der Schweiz wurde Nicaragua von rechtskonservativen Kreisen thematisiert und zum Musterbeispiel eines totalitären Staates erklärt. Im Parlament entbrannte zwischen dem bürgerlichen und dem linken Block eine Debatte für und wider der Entwicklungshilfe an Nicaragua. Der Solidaritätsbewegung war es zwar gelungen, die Entwicklungshilfe im Umfang von fünf Millionen Franken zu sichern, sie verlor aber ihre Definitionsmacht über Nicaragua. Die Risse zwischen den unterschiedlichen Fraktionen der Nicaragua-Solidarität öffneten sich und markierten den Anfang vom Ende der Schweizer Nicaragua-Solidarität.