Die Missernte 1916/17 in der Schweiz. „Wenn nur der Wettergott bald ein Einsehen hätte“.

AutorIn Name
Mario
Aeby
Art der Arbeit
Lizentiatsarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


So wenig die Schweiz im Ersten Weltkrieg in kriegerische Handlungen involviert war, so stark traf die Wirtschaftsblockade das Land. In der Vorkriegszeit musste über 80 Prozent des jährlichen Brotgetreidebedarfs aus dem Ausland importiert werden. Mit dem Zusammenbruch des Importvolumens auf schliesslich ein Zehntel (1918) stiegen gleichzeitig die allgemeinen Frachtpreise auf das 25-fache der üblichen Kosten. Auch die Einfuhren von proteinreichem Futtermittel fielen um bis zu 85 Prozent.

Durch die zunehmenden Einfuhrund Versorgungsprobleme war die schweizerische Landwirtschaft gezwungen, die Inlandproduktion an Grundnahrungsmitteln rasch und spürbar zu steigern. Dies stellte die Bauern vor schwerwiegende Herausforderungen: Durch den von der Agrarmodernisierung, Industrialisierung und den Welthandel geförderten strukturellen Wandel vom Ackerbau hin zur Viehwirtschaft waren vielerorts sowohl das Wissen als auch die für den Ackerbau nötige Infrastruktur verloren gegangen. Daneben verfügten die Agrarproduzenten weder über genügend Arbeitskräfte für den deutlich arbeitsintensiveren Ackerbau noch über qualitativ hoch stehendes Saatgut oder über ausreichende Mengen an Kunstdünger.

In den Jahren 1916/17 entfaltete sich völlig unerwartet ein weiterer Produktionsfaktor äusserst negativ: die Witterung. Da dieser Aspekt bisher von der Forschung komplett übersehen worden ist (einzig Pfister hat 1988 im Artikel «Fluctuations climatiques et prix céréaliers en Europe du XVIe au XXe siècle» festgehalten, dass der Getreidepreis von 1917 stark mit den damaligen Witterungsbedingungen korreliert), dreht sich die Lizentiatsarbeit primär um die Darstellung der Witterungsereignisse und deren Auswirkung auf die landwirtschaftliche Produktion, ohne dabei aber die anderen Faktoren auszublenden. Im Sommer 1916 wurden viele Niederschlagstage und ungewohnt hohe Niederschlagsmengen gepaart mit monatlichen Temperaturabweichungen von bis zu –2 Grad Celsius verzeichnet, was sich sowohl auf die quantitative und qualitative Ertragslage der Getreide-, Kartoffel und Heuernte auswirkte. Die Wintermonate 1916/17 waren mit Abweichungen von bis zu –3 Grad Celsius zu den langjährigen monatlichen Mitteln (1901–1960) äusserst kalt. Der Sommer galt 1917 mit 41 Hageltagen als schwerstes Hageljahr in der Geschichte der Hagelversicherung.

Aus dieser verheerenden Kombination von anthropogenen und natürlichen Einflüssen resultierte 1916 eine Kartoffelmissernte mit Hektarerträgen, die etwa ein Drittel unter den gewohnten Produktionswerten lagen. Kartoffelfelder standen auf Grund der häufigen Niederschläge unter Wasser; die Pflanzungen wurden darauf von Krankheiten befallen. Durch die qualitativ schlechte Heuernte und den Mangel an proteinreichen Futtermitteln brach die Milchproduktion im Herbst 1916 markant ein: Im Dezember 1916 wurde ein Fünftel (6‘000 t) weniger Milch in Käsereien eingeliefert als im Vorjahr. Wegen der Kälte im Frühjahr 1917 konnte das Vieh erst spät auf die Weiden getrieben werden – zu einem Zeitpunkt, als die Heuvorräte zur Überwinterung der Tiere längst aufgebraucht waren. Für die Getreideernte verzeichneten die statistischen Quellen 1917 einen Ertragseinbruch von 25 Prozent. Ob es sich hier – im Gegensatz zu der klar mit qualitativen Quellenzitaten belegbaren Kartoffelmissernte von 1916 – wirklich um eine Missernte handelte, bedarf weiterer Abklärungen. Die Arbeit befindet sich im Schnittpunkt von Wirtschafts-, Klimaund Agrargeschichte und ist dementsprechend aufgebaut. Nach der Darlegung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Schweiz wird die Witterung für die beiden Jahre 1916/17 charakterisiert. Als Quellen dienen sowohl quantitative Messdaten der Schweizerischen Meteorologischen Anstalt (SMA) als auch deren qualitativen Jahresberichte. Zusätzlich wurden Quellen der Versicherungswirtschaft beigezogen sowie ein kurzer Blick auf zwei klimatische Proxies geworfen. Im umfangreichsten Teil der Arbeit werden die Folgen der Importkrise und der Witterung auf die landwirtschaftliche Produktion der Jahre 1916/17 dargestellt. Vorgängig werden die Produktionsfaktoren dargelegt, die für die Ertragslage der Schweizerischen Landwirtschaft um 1914 massgebend waren. Die Faktoren werden unter Zuhilfenahme von Aussagen in den Quellen bewertet. Anbaustatistiken aus dieser Zeit müssen zwingend mit qualitativen Aussagen von Fachpersonen verifiziert werden, da sich die quantitativen Erhebungsmethoden als fragwürdig herausgestellt haben. Detailliert betrachtet wird anschliessend die Produktion von Getreide, Kartoffeln, Raufutter und Milch. Als wichtigste Quellen dienten verschiedene landwirtschaftliche Zeitungen.

Die Arbeit wird voraussichtlich 2010 in der Reihe «Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte» vom Verlag Traugott Bautz publiziert (www.bautz.de).

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