Mit der Untersuchung der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit der Revolutionär Marxistischen Liga (RML), die sich 1980 in Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) umbenannte, wird ein weiteres Puzzleteil der Geschichte der RML/SAP geschrieben – eine gesamthafte Darstellung fehlt hingegen nach wie vor.
In dieser Arbeit werden die theoretischen Grundlagen der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die Perspektiven der Arbeiter:innenbewe- gung, die Praxis und Veränderung der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit ebenso erforscht wie der dadurch erfolgte Mitgliederzuwachs. Weiter wird auch die Beteiligung an Arbeitskämpfen und die Rolle des Versuchs, Mitglieder ab 1980 in die Betriebe zu schicken (Proletarisierung), in Bezug auf die Auflösung der RML/SAP, betrachtet. Zuletzt wird herausgearbeitet, wie viele ehemalige Mitglieder eine bezahlte Anstellung in den Gewerkschaften fanden.
Dafür sind sämtliche Bestände des Sozialarchives zur RML/SAP und ihren Deutschschweizer Sektionen ausgewertet worden. Diverse Interviews mit ehemaligen Mitgliedern aus dem Association pour l'étude de l'histoire du mouvement ouvrier runden den Quellenkorpus ab und geben der DarstellungeinenlebendigenEindruck.DieAnalysen zu den Gewerkschaften von Marx, Engels, Luxemburg, Lenin, Trotzki und Mandel stellen die theoretischen Grundlagen der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. Gewerkschaften wurden als die ursprüngliche Organisationsform zur Verteidigung des tatsächlichen Wertes der Ware Arbeitskraft aufgefasst und sollten darüber hinaus eine wichtige Rolle in der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft hin zum Sozialismus spielen.
Die Perspektiven gingen grundsätzlich davon aus, dass es früher oder später zu einem Bruch mit dem Arbeitsfrieden kommen müsse, um die Gewerkschaften wieder zu tatsächlichen Kampforganisationen der Arbeiterklasse werden zu lassen. Konkrete Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit wurden in der Metall- und Uhrenindustrie, der Druckindustrie, dem öffentlichen Dienst, der Chemieindustrie und im Bauwesen geleistet.
Der Umfang der Aktivitäten in den verschiedensten Wirtschaftssektoren und den dazugehörigen Gewerkschaften ist verglichen mit der bescheidenen Grösse der Organisationen erstaunlich umfassend. In der Metall- und Uhrenindustrie ist oft ausschliesslich propagandistisch gearbeitet worden. Mit der Proletarisierung wurde der Sektor zur Hauptpriorität erkoren und die Arbeit verlagerte sich immer mehr von der Propaganda in Betrieben hinein in gewerkschaftliche Gremien. Dort gelang es jedoch nie, eigene Akzente zu setzen. Im öffentlichen Dienst arbeitete die RML/SAP in der Gewerkschaft VPOD unter den Lehrpersonen und an den Spitälern. Wobei die Proletarisierung den Schwerpunkt von den Lehrpersonen hin zum Spitalpersonal verschob. Als es Ende der 1980er Jahre zu Spitalbewegungen für bessere Arbeitsbedingungen kam, waren die Mitglieder der RML/SAP mit dabei, aber mehr als Einzelmitglieder denn als organisierte Kraft. In der Druckindustrie wurden Vorfeldorganisationen aufgebaut, umfangreiche Propaganda betrieben und in einigen wenigen Betrieben konnte sich die RML/SAP verankern, in Betriebsgruppen und Betriebskommissionen intervenieren und an Gewerkschaftsgremien teilnehmen. Die Arbeit in der Chemie- und Bauindustrie brachte keine nennenswerten Entwicklungen hervor. In den Gewerkschaften konnte sich die RML/SAP in einigen Gewerkschaftssektionen durchaus als Kraft etablieren. Auch in vereinzelten Betrieben verfügte sie über etwas Einfluss. An den wenigen ausgetragenen Arbeitskonflikten war die RML/SAP immer beteiligt. Häufig in unterstützender Funktion, in manchen Fällen auch mit einer wichtigeren Rolle.
Insgesamt stand der betriebene Aufwand der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit in keinem Verhältnis zu der daraus resultierenden Rendite in Form von Mitgliedern – es konnten einige Dutzend Mitglieder gewonnen werden. Sowohl in den Gewerkschaften als auch den Betrieben war die Etablierung und der Einfluss nicht der Regelfall. Die Revolutionär:innen der RML/SAP konnten sich in den Betrieben und Gewerkschaften häufig nicht durchsetzen. Sie verloren sich in den 1980er Jahren teilweise in den Gewerkschaften, statt diese nach trotzkistischen Idealen umzuformen. Fürdiesen Prozess waren das Auseinanderklaffen der Perspektiven und die nicht erfüllten Hoffnungen auf eine schnelle Beeinflussung der Gewerkschaften wichtig. Nach dem Zusammenbruch der RML/SAP fanden mindestens fünfundzwanzig ehemalige Mitglieder eine bezahlte Funktion in Gewerkschaften.