Die Familie Besenval hat der Nachwelt ein Privatarchiv hinterlassen, das eine umfassende historische Aufarbeitung ihrer Geschichte in politisch-diplomatischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht über einen Zeitraum von etwa 300 Jahren erlaubt. Das Archiv wurde lange im „Musée des Suisses dans le Monde‟ in Pregny-Chambésy (Kanton Genf) aufbewahrt, bevor es 2023 in das Staatsarchiv Solothurn überführt wurde. Mehrere Jahre davor hatte die Stiftung für das „Musée des Suisses dans le Monde‟ schon die Digitalisierung des Bestandes in Auftrag gegeben. Seitdem sind über die Website https://besenval.anton.ch/ etwa 7’000 Dokumente (rund 27’000 Seiten) digital zugänglich. Die Recherchen für die Dissertation wurden weiter durch die Konsultation von Beständen im Staatsarchiv Solothurn, in den Archives départementales du Haut-Rhin und in den Archives municipales de Mulhouse ergänzt.
Die Dissertation untersucht die Geschichte der Familie Besenval aus dem Solothurner Patriziat im Sinne einer exemplarischen Analyse der Geschichte einer Familie aus der Machtelite der eidgenössischen Orte im Corpus helveticum. Sie ermittelt die strukturellen Faktoren, die die Geschicke der Familie und ihrer Angehörigen im Rahmen der Gesellschaft des Ancien Régime beeinflusst haben. Die Studie greift dafür auf das Konzept der Kapitalsorten und die Feldtheorie im Sinne von Pierre Bourdieu zurück und untersucht die verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Felder, aus denen die Angehörigen der Familie Besenval die Ressourcen für die Sicherung ihres Status als Honoratioren schöpften. Besondere Aufmerksamkeit erhält in diesem Zusammenhang die Untersuchung des Militärunternehmertums, das für die Familie Besenval insofern eine zentrale Ressource darstellte, als es einigen Angehörigen den Zugang zur französischen Krone und Hofgesellschaft eröffnete.
Die Studie nutzt ausserdem das von Fernand Braudel entwickelte Konzept Zeitebenen bzw. -horizonte. Sie unterscheidet den kurzfristigen Zeithorizont, der für die persönlichen Entscheidungen im Alltagsleben der Individuen relevant war, vom Zeithorizont der moyenne durée, der jeweils für eine ganze Generation und deren familiäre, gesellschaftliche und strukturelle Verpflichtungen massgeblich war. In der longue durée sind die Erinnerungstraditionen und das kollektive Gedächtnis der Familie zu verorten. Die Arbeit verbindet das biografische Genre mit strukturgeschichtlichen Ansätzen.
Der erste Teil der Studie befasst sich mit der politischen Stellung der Patrizier im Kanton Solothurn und mit dessen Beziehungen zur französischen Krone. Er zeigt die zentrale Bedeutung des Umfelds (Entourage) für die Position von Eliteangehörigen im Ancien Régime. Im Fall der Besenval war das Umfeld massgeblich für den spektakulären Aufstieg im 17. Jahrhundert und den Fall der Familie im Herrschafts- und Machtsystem der Stadt Solothurn in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verantwortlich. Zum Umfeld gehörten die Allianzen mit anderen Geschlechtern des Solothurner Patriziats und die damit verknüpften Interessenbindungen. Verwandtschaftsbeziehungen gewährleisteten zum einen stabile Bindungen zwischen den Geschlechtern der Machteliten. Zum andern strukturierten sie die Bildung von Parteiungen und einer politischen Opposition innerhalb der Machtelite, die auch in den Magistratenständen der eidgenössischen Orte notwendig, wenn nicht sogar erwünscht waren und manchmal inszeniert wurden, um das eigene politische Handeln gegenüber den Vertretern der ausländischen Höfe zu rechtfertigen. Zum weiteren Umfeld patrizischer Geschlechterherrschaft gehörten schliesslich die ausländischen Dynasten, die sich mit der Verteilung von Patronageressourcen eine loyale Klientel in den einzelnen Orten hielten und so ihren Einfluss auf die Politik der Kantone sicherten.
Im zweiten Teil widmet sich die Studie den Verbindungen der Familie Besenval zu ausländischen diplomatischen Gesandten. Der Aufstieg der Besenval fand während der langen Regierung von König Ludwig XIV. statt, während der zum ersten Mal eine lange gemeinsame Grenze zwischen dem Königreich und dem Corpus helveticum entstand. Die finanziellen Verbindungen Frankreichs mit der Schweizer Elite durch die Auszahlung der Pensionen sind gut erforscht. Weniger bekannt sind die die Investitionen der Patrizier in Frankreich. Sie trugen wesentlich zur Festigung der Stellung der Besenval in Frankreich bei Mit ihrem Zugang zum Hof und ihrer prominenten Position im unmittelbaren Umfeld des Königs in Versailles gelang es Familien wie den Besenval, sich sowohl von der Autorität und vom Einfluss des französischen Ambassadors im Corpus helveticum wie auch vom politischen Rückhalt im Regierungs- und Machtsystem des heimischen Kantons zu lösen. Die vollständige Integration in die Welt des französischen Adels blieb den Besenval jedoch verwehrt, weil sie immer als Schweizer galten.
Die Anbindung an die französische Krone erfolgte hauptsächlich über den Solddienst. Diesbezüglich bestand für die Familie die grösste Herausforderung darin, sich über Generationen hinweg die Zuteilung von Kompanien zu sichern, d.h. in der Gunst des Königs zu bleiben. Die Verteilung der Truppeneinheiten fand in einem Spannungsfeld aus drei Polen bzw. Akteuren statt: der eigene Kanton bzw. die lokalen Konkurrenten aus dem Solothurner Patriziat, der Oberst über die Schweizer Truppen in Frankreich und der König. Um sich in diesem Spannungsfeld zu behaupten, waren strategisches Handeln, die lange Dauer des Dienstes für die Krone, der Zugang zu Patronageressourcen und das politische Kapital in den eidgenössischen Orten erforderlich. Das Ansehen der eidgenössischen Militärunternehmer beim König hing nicht zuletzt von deren Fähigkeit ab, erfolgreich Soldaten rekrutieren und so den Vollbestand der Einheiten garantieren zu können. Dieser Gesichtspunkt wurde in der Geschichtsschreibung zum Solddienst nur wenig berücksichtigt und sollte deshalb weiter untersucht werden, da dies bezüglich des Einflusses auf die Verteilung der Soldkompanien eine Diskrepanz zwischen den Interessen der Kantone und der Militärunternehmer im Dienst Frankreichs darstellte.
Mit der Einrichtung von Fideikommissen suchten die Besenval, eine langfristige Absicherung ihrer wirtschaftlichen Ressourcen zu gewährleisten. Die übrigen Vermögensbestände dagegen drohten durch die Erbteilungen auf verschiedene Linien aufgeteilt zu werden. Das Verbot von Fideikommissen in der Revolution war denn auch massgeblich für den wirtschaftlichen und dynastischen Zusammenbruch der traditionellen aristokratischen Familien im 19. Jahrhundert verantwortlich. Das Vermögen der Familie Besenval bestand hauptsächlich im Besitz von Herrschaften, Gütern und Gülten, der sich im Solothurnischen und im Elsass konzentrierte. Die auf Frankreich ausgerichteten Angehörigen der Familie investierten stark in französische Rentenanleihen, wobei sie staatliche Titel bevorzugten.
Was die Häufung sozialen Kapitals durch die Familie Besenval anbelangt, so fällt auf, dass diese lange Zeit keine dynastische Strategie im engeren Sinne verfolgte. Erst am Ende des 18. Jahrhunderts lässt sich eine Heiratspolitik feststellen, die bewusst Abschliessungstendenzen verfolgte und eine starke Identifikation der Familie mit dem europäischen Adel erkennen liess. Das Anliegen, sich als Geschlecht mit quasi-dynastischem An- spruch auf die Zugehörigkeit zur Machtelite zu verstehen, zeigte sich am ehesten in der Pflege von Verhaltensweisen und eines Habitus, die der Tradition verpflichtet und sich Anpassungen an die Moderne verweigerten, sowie in der Pflege einer familialen Erinnerungstradition.