„Der Aushub hat begonnen – Atomkraftwerkgelände besetzt!“ Die Bewegung gegen das Kernkraftwerk Kaiseraugst während der Phase der Bauplatzbesetzung im Jahre 1975

AutorIn Name
David
Häni
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christoph Maria
Merki
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


In den 1950er und frühen 60er Jahren herrschte eine allgemeine Euphorie über die neuen Möglichkeiten einer friedlichen Nutzung der Nukleartechnologie. Auch in der Schweiz waren sich Bundesbehörden, Elektrizitätswerke sowie grosse Teile der Bevölkerung darin einig, dass der schnelle Einstieg in die Atomenergie den schweizerischen Entwicklungsbedürfnissen entsprechen würde. Zudem sollte die Ölkrise von 1973 der Bevölkerung die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erdöl drastisch vor Augen führen. So schien die Stromproduktion mit Kernkraft der richtige Weg zu sein – auch weil der Bau weiterer Wasserkraftwerke damals umstritten war.

Doch innerhalb weniger Jahre war die bis dahin ungetrübte Zuversicht in die Atomtechnologie verflogen. Ein grosses Unbehagen gegenüber der fortschreitenden technischen Zivilisation sowie Zweifel an der Nachhaltigkeit eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums führten im Verlauf der 70er Jahre weltweit zur Entstehung nationaler und transnationaler Bewegungen gegen Atomkraftwerke (AKW).

Auch in der Schweiz entwickelte sich die Debatte über die Atomtechnologie zu einem stark emotional geprägten Politikum. Die Auseinandersetzungen über die Nutzung der Kernenergie beeinflussten die Energieund Umweltpolitik unseres Landes über Jahre und spalteten die Bevölkerung in zwei Lager. Wäre es damals nach dem Willen der Elektrizitätsgesellschaften und der Bewilligungsbehörden gegangen, würde heute nicht nur in Beznau, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg Atomstrom erzeugt, sondern auch im unweit von Basel gelegenen Kaiseraugst. Dass es nicht soweit kam, ist zu einem grossen Teil einer Anti-AKW-Bewegung zu verdanken, die weit mehr als eine Gruppe demonstrierender Neuer Linker und Umweltaktivisten war, sondern weite Kreise regionaler bürgerlicher Parteien und Gruppierungen hinter sich wusste. Unter der Regie der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK) entwickelte sich der Widerstand gegen das AKW Kaiseraugst – vor allem während der Phase der Besetzung des Baugeländes – zu einer breit abgestützten Volksbewegung, die in wesentlichen Punkten sogar von den kantonalen Regierungen von Basel-Stadt und Baselland unterstützt wurde. Nachdem alle Rechtsmittel gegen den Bau des Atomkraftwerks erfolglos ausgeschöpft worden waren, verlieh die Bauplatzbesetzung der Bewegung wieder frischen Schwung und führte den Widerstand in eine neue Richtung.

Die Opposition gegen das Kernkraftwerk Kaiseraugst wird in der vorliegenden Masterarbeit, vor allem aus umweltund sozialgeschichtlicher Perspektive rekonstruiert. Im Fokus steht dabei die vom 1. April bis zum 11. Juni 1975 dauernde Phase der Besetzung des für das Atomkraftwerk in Kaiseraugst vorgesehenen Baugeländes. Diese Phase wurde aus der komplexen und vielschichtigen Geschichte des verhinderten Bauprojekts herausgegriffen, da die elf Wochen dauernde Aktion einen überschaubaren Zeitabschnitt darstellt, der überdies exemplarisch für ein Stück Schweizer Bewegungsgeschichte steht. Die Studie geht von der These aus, dass dieser Akt des zivilen Ungehorsams einen nachhaltigen, in vielerlei Hinsicht gar entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Widerstands gegen das Kernkraftwerk hatte. Die Inbesitznahme des Baugeländes durch die AKW-Gegner verzögerte die Bauarbeiten und erwirkte somit ein Time-out, welches den Bauplatz zu einem Kristallisationspunkt von Diskursen über Atomenergie, Demokratie, Rechtsstaat, Föderalismus, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz werden liess.

Die Arbeit untersucht die Bedingungen und historischen Aspekte, die für den Erfolg der Besetzung des Baugeländes für das geplante Kernkraftwerk Kaiseraugst massgebend waren, und fragt nach
der Bedeutung der Bauplatzbesetzung innerhalb der Geschichte des Widerstands gegen das Bauprojekt.

Die Studie ordnet die Bewegung gegen das Kernkraftwerk Kaiseraugst in den Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen ein und untersucht deren Bezüge zur 68er Bewegung sowie zu einem damals neu entstandenen, globalen Umweltbewusstsein. Zudem werden die transnationalen Wirkungsweisen zwischen den verschiedenen Anti-AKW-Bewegungen der Region am Hochund Oberrhein dargestellt. Eine genauere Analyse der Bewegung gewährt Einblick in deren Strukturierung und Mobilisierung während der Phase der Bauplatzbesetzung. Weiter wird auf die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK) eingegangen, welche die Bauplatzbesetzung initiierte und koordinierte. Zudem wird nach der Bedeutung gefragt, die dem Kredo des gewaltfreien Widerstands hinsichtlich des Erfolgs der Aktion zukam. Dabei wird untersucht, welche Paradigmen und Theorien des gewaltfreien Widerstands für die zeitgenössischen Akteure eine Rolle spielten.

Um die Phase der Bauplatzbesetzung besser in ihren historischen Kontext stellen zu können, wird die gesamte Geschichte des Widerstands gegen das Bauprojekt – von den ersten Anfängen der Opposition in den 60er Jahren bis zur Aufgabe des Bauvorhabens im Jahre 1988 – in Form eines Überblicks dargestellt. Anhand der Rekonstruktion der Ereignisse wird die massgebliche Bedeutung der Bauplatzbesetzung ersichtlich. Sie war das Bindeglied zwischen der ersten Phase des Widerstands – die sich vor allem in der Ausschöpfung aller rechtlichen Einsprachemöglichkeiten manifestierte – und der Phase nach der Besetzung, die hauptsächlich von politisch-institutionellem Protest geprägt war.

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