Geschlechter in der Anthropologie. Konstruktionen von Geschlecht im Archiv der Julius Klaus-Stiftung und dem Lehrbuch der Anthropologie von 1914 bis 1945

Nom de l'auteur
Joëlle
Fischer
Type de travail
Mémoire de master
Statut
abgeschlossen/terminé
Nom du professeur
Prof.
Christof
Dejung
Institution
Historisches Institut
Lieu
Bern
Année
2021/2022
Abstract
Das Archiv der Julius Klaus-Stiftung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene wurde ab 1925 in Zürich als interdisziplinäres wissenschaftliches Publikationsmedium der gleichnamigen Stiftung herausgegeben. Die Zeitschrift sowie die Stiftung stehen in enger Verbindung mit Otto Schlaginhaufen. Dieser war nicht nur Herausgeber des Archivs, sondern auch Präsident und Gründungsmitglied der Stiftung. Schlaginhaufen war Anthropologe und von 1911 – 1951 Inhaber des Lehrstuhls für Anthropologie an der Universität Zürich. Das anthropologische Institut der Universität Zürich folgte einer stark naturwissenschaftlich ausgerichteten Form der Anthropologie – der physischen Anthropologie. Die Arbeit der physischen Anthropologie beruhte auf der Überzeugung, dass sich Differenz, egal ob in ethnischer, geschlechtlicher oder sozialer Hinsicht, ob sichtbar oder nur mathematisch berechenbar, am Körper festmachen liesse. In welcher Form und Ausprägung diese Unterschiede aber auftraten, war unklar. Diese Überzeugung der Anthropologinnen und Anthropologen war die Voraussetzung dafür, dass die Kategorien „Rasse“ und „Geschlecht“ sowohl in die grundlegenden Fragestellungen der Forscherinnen und Forscher als auch in ihre Interpretationen der Untersuchungsergebnisse miteinflossen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, mittels einer Diskursanalyse den Konstruktionscharakter der Kategorie „Geschlecht“ in anthropologischen Veröffentlichungen des Archivs der Julius Klaus-Stiftung zwischen 1914 und 1945 herauszuarbeiten. Diese Quellenbasis wird durch das damalige Standardwerk der Anthropologie, Rudolf Martins Lehrbuch der Anthropologie von 1914, ergänzt. Martins formuliertes Ideal, dass Männer und Frauen als gleichwertige Vertreter und Vertreterinnen bestimmter „Rassen“ angesehen werden könnten, wurde durch die damalige anthropologische Praxis unterminiert. Der erschwerte Zugang zu weiblichen Untersuchungsobjekten stand in starkem Kontrast zum vergleichsweise einfachen Zugang zu männlichen Untersuchungsobjekten. Daher wurde die Relevanz der Frauen innerhalb der anthropologischen Studien aus praktischen Gründen oft relativiert. So erstaunt es kaum, dass die Datendichte zu Frauen im Verhältnis viel geringer ausfiel als die zu Männern. Indem die Anthropologen das Fehlen der Frauen innerhalb ihrer Untersuchungen oftmals in Kauf nahmen, konstruierten sie gleichzeitig im Widerspruch zum Lehrbuch eine Zentralität des Mannes als „Rassenvertreter“. Das beeinflusste auch die Formulierung der Normen innerhalb der Anthropologie. Die physische Anthropologie arbeitete mit Normen, um ihrem Ziel einer systematischen Einteilungslehre der Menschheit näher zu kommen. Wenn entsprechende Vermessungsdaten fehlten, wurden Normbereiche und Normvorstellungen ohne Errechnung von Mittelwerten festgesetzt. Das konnte bedeuten, dass von einem subjektiven Urteil oder allgemeingültigen Idealvorstellungen ausgegangen wurde, wie unter anderem von demjenigen des „europäischen Mannes“. Sogenannte Naturvölker, niedere Klassen und Frauen wurden als Abweichung von dieser Norm konstruiert. Die Abgrenzung erfolgte in der Regel durch eine Analogisierung von Frauen mit Kindern, „niederen Klassen“ oder „Naturvölkern“. Als zentrale Gemeinsamkeit dieser Gruppen stand die Bezeichnung der „Primitivität“ im Zentrum. Im Rahmen eines evolutionistischen Fortschrittsdenkens wurde das Ideal des „europäischen Mannes“ als progressiv konstruiert. Progressivität und Primitivität wurden sowohl in Geist, in Form von Intelligenz oder Moral, als auch am Körper festgemacht. So wurde die Geschlechterdifferenz unter anderem an sekundären Geschlechtsmerkmalen wie der Körperstatur festgemacht. Frauen wurden im Verhältnis zu Männern als klein konstruiert. Diese Kleinheit konnte angeblich in fast allen Körperteilen festgestellt werden. So unter anderem am Schädel, dem auch eine direkte Verbindung zur Intelligenz zugesprochen wurde. Die primären Geschlechtsmerkmale wie die reproduktiven Keimdrüsen fanden keinen Eingang in die Geschlechterkonstruktionen. In den Artikeln des Archivs finden sich auch Texte zur Sterilisationsund Kastrationspraxis. Dabei handelte es sich um künstliche Eingriffe in die geschlechtlichen Funktionen. Diese wurden im Rahmen dieser Arbeit hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Geschlechtlichkeit untersucht. Es konnte festgestellt werden, dass die Sterilisation sowie die Kastration nichts daran änderten, wie die Betroffenen wahrgenommen wurden. Die Kastration vor der Pubertät führte jedoch zu einer Veränderung von geschlechtstypischen Merkmalen im Wachstum. Diese hatte erneut eine diskursive Annäherung des Betroffenen an einen kindlichen oder auch weiblichen Körper zur Folge, der in Abgrenzung zum „europäischen Mann“ konstruiert wurde. Die Geschlechterkonstruktionen innerhalb der Anthropologie erfolgten also durch eine diskursive Abgrenzung vom Ideal des „europäischen Mannes“.

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