Die transalpine Zusammenarbeit der Alten Eidgenossenschaft mit dem Herzogtum Mailand in der Seuchenbekämpfung zwischen 1550 und 1750. Umsetzung eines frühen institutionellen Abkommens aus dem Jahr 1585

AutorIn Name
Bernhard
Lauterburg
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2016/2017
Abstract
Pestepidemien zwangen die Obrigkeiten in der Vormoderne regelmässig zu einschneidenden und oft unpopulären Massnahmen. Mit dem Vertrag von Bellinzona übernahmen 1585 die eidgenössischen Orte zu Seuchenzeiten die Weisungen und Massnahmen des mailändischen Sanitätstribunals und dessen in den ennetbirgischen Vogteien und zeitweise auch in der Innerschweiz stationierten Kommissare. In der Forschung zu Pestausbrüchen auf dem Gebiet der Alten Eidgenossenschaft werden vorwiegend das Diktat und die Allmacht des Mailänder Sanitätstribunals, die Eingriffe in die Souveränitätsrechte der eidgenössischen Orte und die generell asymmetrische Beziehung zwischen Mailand und der anscheinend ohnmächtigen Eidgenossenschaft hervorgehoben. Basierend auf der Analyse der Akten des mailändischen Sanitätstribunals und der eidgenössischen Tagsatzungen sowie der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Netzwerke, die die Eidgenossenschaft, ihre Herrschaftsgebiete südlich der Alpen und die Lombardei umspannten, hinterfragt die vorliegende Untersuchung diese überwiegend negativ konnotierte, teilweise von nationalen Denkschablonen geprägte Sicht. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Mailänder und eidgenössischen Instanzen wird anhand von vier Zeitfenstern dargestellt. In einem ersten Teil werden die Hintergründe, personalen Netzwerke und jeweiligen Interessen beleuchtet, die 1585 auf Initiative der Eidgenossen zum Vertrag von Bellinzona führten, der während mehr als einem Jahrhundert Grundlage für die Zusammenarbeit in der Seuchenbekämpfung werden sollte. Anhand der Pestwelle von 1628 bis 1632 wird dann das Abwehrdispositiv des Herzogtums Mailand auf dem Territorium der eidgenössischen Orte im Rahmen seiner überregionalen Strategie zur Seuchenabwehr thematisiert. Die Bekämpfung der Pestausbrüche in mehreren eidgenössischen Orten zwischen 1667 und 1669 zeichnet sodann die mitunter konfliktträchtige Tätigkeit des in der Innerschweiz stationierten mailändischen Sanitätskommissars nach, der einerseits Handels- und Reisebeschränkungen durchsetzte, aber auch um Planungssicherheit im transalpinen Handelsverkehr bemüht war. Schliesslich werden die sich ab dem letzten Vier- tel des 17. Jahrhunderts abzeichnende Emanzipation von Mailand und die sich entwickelnde eigenständige Seuchenpolitik der eidgenössischen Orte, die sich aber bis Mitte des 18. Jahrhunderts explizit im Rahmen des Abkommens von 1585 bewegte, herausgearbeitet. Die Auswertung des Quellenmaterials führt zum Schluss, dass die eidgenössischen Orte, ihre gemeinen Herrschaften und die Lombardei ökonomisch, sozial und kulturell eng miteinander verflochten waren, so dass sich bereits in der Frühen Neuzeit an den Schnittstellen verschiedene Grade und Formen der grenzübergreifenden Kooperation aufdrängten. Im Interesse geordneter Handelsbeziehungen mit Mailand und eines geregelten Transit-Verkehrs über die Alpenpässe, sowie zur Gewährleistung der Versorgung ihrer Herrschaftsgebiete südlich der Alpen, schlossen sich die eidgenössischen Orte aus Eigeninteresse dem mailändischen System zur Seuchenbekämpfung an. Sie betrauten eine fremde Institution, das mailändische Sanitätstribunal, mit der Seuchenüberwachung und der Ausarbeitung von Massnahmen zur Seuchenbekämpfung, die sie auf ihrem Territorium implementierten. Das Abkommen ersparte den einzelnen Orten den Aufbau von eigenen Institutionen und Expertenwissen zur Seuchenbekämpfung. Kaufleute und Reisende gewannen Planungssicherheit, was ihnen eine bessere Allokation ihrer Ressourcen für den transalpinen Handelsverkehr ermöglichte. Dabei delegierten die Eidgenossen zwar Kompetenzen an das Sanitätstribunal in Mailand, aber auch unpopuläre Entscheide. Bei drohender Pest musste die Obrigkeit zwischen uneingeschränktem Handels- und Personenverkehr und Verantwortung für die öffentliche Gesundheit abwägen, und sie dürfte die der Bevölkerung schwer zu kommunizierenden Entscheide nicht ungern dem fernen Sanitätstribunal, respektive dessen Vertreter vor Ort, überlassen haben. Massnahmen zur Seuchenbekämpfung mussten nicht nur den Untertanen gegenüber gerechtfertigt werden, sondern konnten auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Orten der Eidgenossenschaft strapazieren, waren doch Sanktionen zwischen den Bündnispartnern, vor allem über die Konfessionsgrenzen hinweg, nicht unproblematisch. Die Entscheidungsfindung an der Tagsatzung war auf Konfliktlösungen und Konsensmechanismen ausgerichtet, nicht aber auf das Management von Krisensituationen, die, wie im Fall von Pestausbrüchen, mehrere Orte betreffen konnten und ein koordiniertes V orgehen erforderten. So fügten sich die eidgenössischen Orte im eigenen Interesse in das grenzübergreifende, vom mailändischen Sanitätstribunal organisierte und umgesetzte Regelwerk ein. Im Gegenzug bot Mailand die Dienste einer professionellen, erfahrenen und motivierten Behörde und konnte seinerseits den angestrebten „cordon sanitaire“ gegen Norden erweitern und konsolidieren, was seinem Sicherheitsbedürfnis entgegenkam. Auch wenn die Zusammenarbeit nicht friktionslos verlief, stellte sie eine Win-Win Situation für beide Vertragsparteien dar. Mit der Analyse der bislang wenig berücksichtigten transalpinen Kooperation in der Seuchenbekämpfung in der Frühen Neuzeit erweitert die vorliegende Arbeit das Spektrum der transnationalen V erflechtungsgeschichte der Alten Eidgenossenschaft.

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