Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract
Der Begriff Bahnhofbuffet steht für das traditionelle Schweizer Bahnhofsrestaurant, welches durch die Bahngesellschaft an einen Einzelpächter verpachtet wurde und einen integralen Bestandteil des jeweiligen Bahnhofs darstellte. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Lokale analog zu den Zügen in zwei oder drei Klassen aufgeteilt.
Bereits der erste Schweizer Bahnhof in Zürich beheimatete ab 1847 ein kleines Buffet. An allen grösseren Bahnhöfen, an Umsteigepunkten und in Grenzlage entstanden in der Folge Bahnhofbuffets. Die Zahl erhöhte sich bis 1993 auf 140 Betriebe, wobei 78 den SBB gehörten. Diese stehen im Zentrum der Arbeit. Im Lauf der Zeit unterlag das Bahnhofbuffet jedoch verschiedensten Entwicklungen und Veränderungen. Diese kann man grob in drei Perioden einteilen: eine Findungsphase unter den Vorgängerbahnen, eine Hochphase unter den SBB von 1920 bis in die 1980er Jahre und schliesslich der Niedergang seit Mitte der 1980er Jahre.
Im Gegensatz zu den Vorgängerbahnen, welche die Buffets einzeln verpachteten und fixe, raumabhängige Pachtzinse verlangten sowie die Buffets vor allem als Dienst an der Kundschaft verstanden, erkannten die Bundesbahnen das finanzielle Potenzial der Bahnhofsrestaurationen und schufen ab 1920 ausführliche, allgemein gültige Reglementarien und Einheitsverträge, welche den SBB u.a. breite Einsicht in die Geschäftsführung ermöglichten. Die Analyse der verschiedenen SBB-Reglementarien bildet den Schwerpunkt der Arbeit. Dabei fällt vor allem auf, dass die SBB wegen der umsatzabhängigen Pachtzinse direkt an einer erfolgreichen Betriebsführung interessiert waren. Eine solche liess sich in den Augen der Bahn nur durch fähige Pächter erreichen. Durch eine Pachtzinspolitik, welche den Wirten einen guten Reingewinn garantierte, und ein Ausschliesslichkeitsrecht für die Bahnhofswirte am jeweiligen Bahnhof wurde die Pacht eines Bahnhofbuffets zu einem angesehenen Karriereschritt für Schweizer Gastronomen. Die SBB-Buffets entwickelten sich so oftmals zu den besten und grössten Restaurants der Stadt. Die SBB waren zeitweise die grösste Restaurantbesitzerin der Schweiz und erwirtschafteten mit den Buffets ein Zehntel ihres Umsatzes aus dem Personenverkehr, was ein Vielfaches der Erträge anderer europäischer Bahngesellschaften ausmachte.
Die Lage am Bahnhof generierte ein einmaliges Gemisch der Kundschaft. Bahnhofbuffets waren eigentliche Volksrestaurants. Kaum eine andere Gastronomieform schaffte es sowohl Randständige als auch Gourmands anzulocken. Trotz der strengen Reglementierung durch die SBB garantierte die Einzelpacht ein Lokalkolorit der Betriebe. Kein Bahnhofbuffet war wie das andere.
Die finanziellen Schwierigkeiten der SBB seit den 1970er Jahren waren für einen Investitionsstau mitverantwortlich. Die Betriebe gerieten in Verruf und die Pächter wandten sich neuen gastronomischen Konzepten zu. Die verbleibenden Wirte agierten oft passiv und wenig innovativ, sodass die Bahnhofbuffets in Verruf gerieten. Daneben führten der Taktfahrplan, sich verändernde Essgewohnheiten und die Zunahme von Pendlern dazu, dass der Wunsch nach einem gediegenen Essen am Bahnhof nebensächlich wurde. Die SBB, die seit den Leistungsaufträgen durch den Bund stärker marktorientiert handeln mussten, änderten in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ihr Gastronomiekonzept und liessen Kettenbetriebe, Fastfood-Stände und kleine Lebensmittelläden zu. Ein traditionelles Bahnhofbuffet konnte mit Blick auf den Umsatz nicht mithalten; das Konzept wurde Schritt für Schritt abgeschafft.
Diese allgemeinen Entwicklungen und Veränderungen werden in der Arbeit anhand von Einzelfallstudien überprüft. Die Aufarbeitung der Geschichte der Buffets Zürich HB, Basel SBB, Olten und Thun streicht verschiedene wichtige Einflussfaktoren auf die Buffets heraus. Der Standort, die Pächter und die Zusammensetzung der Kundschaft stellten die Buffetiers vor ganz verschiedene Herausforderungen.
Inwiefern die Geschichte der Bahnhofbuffets eine Besonderheit innerhalb der Schweizer Gastronomielandschaft darstellt, kann erst entschieden werden, wenn eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Schweizer Gastronomie seit dem 19. Jahrhundert sowie eine Analyse von vergleichbaren Einrichtungen in anderen Ländern vorliegen wird.