CfP: In der Stadt zu Hause. Alternative Wohn- und Stadtformen in den 1970er- und 1980er-Jahren

30. September 2019
Call for papers

Workshop 28./29.2.2020

Mit der Ausrufung der «wohnlichen Stadt» als neuem Leitbild versuchten Städteplaner und Architektinnen 1970 der allgemein konstatierten Krise der Städte zu begegnen. Die negativen Auswirkungen, die der funktionalistische Städtebau der Nachkriegszeit gehabt hatte, wurden zu diesem Zeitpunkt von kaum jemandem mehr bestritten. Zeitgleich mit den Versuchen von Planer*innen, Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen – z.B. den Heimatschutz-Vereinen –, der vermeintlichen «Unwirtlichkeit der Städte» etwas entgegenzusetzen, bildeten sich in vielen Städten im Umfeld der neuen Linken und der entstehenden alternativen Szene Wohngemeinschaften und Kommunen: In neuen Formen des Zusammenlebens sollten gesellschaftliche Utopien bereits in der Gegenwart vorweggenommen werden. Von dieser Auseinandersetzung mit Wohn- und Lebensformen ergaben sich Berührungspunkte zur Thematisierung der Stadt: WGs und Kommunen waren auf günstige Altbauwohnungen angewiesen, sodass Aktivist*innen früh gegen von spekulativen Profitinteressen geleitete Neubau- und Sanierungsprojekte Stellung bezogen. Im Kontext einer neuen Aufmerksamkeit für das Politische in der reproduktiven, privaten und intimen Sphäre zielte die linksalternative Kritik auch auf die bürgerliche Kleinfamilie als Norm, auf die sowohl die Suburbanisierung als städtebauliche Form als auch im engeren architektonischen Sinn die Wohnungsgrundrisse der neuen Siedlungen ausgerichtet waren. Diese Kritik äusserte sich gegen Ende des Jahrzehnts zunehmend in Protestaktionen und -bewegungen, die sich explizit auf die Teilhabe an der Stadt und eine

Aneignung des städtischen Raums richteten. Dieser von der linksalternativen Szene ausgehende Zugriff auf die Stadt als politisches Objekt beschleunigte die städtebauliche Neuorientierung im Lauf der 1970er- und 1980er-Jahre, so die hier vertretene These, und bereitete die «Renaissance der Städte» in den 1990er-Jahren mit vor.
Im Workshop möchten wir die Verschränkung von Diskussionen über alternative Lebens- und Wohnformen mit kritischen Auseinandersetzungen um die Stadt in den 1970er- und 1980er-Jahren genauer in den Blick nehmen. Dabei sollen sowohl Diskurse als auch Praxen des Zusammenlebens, des Protests, der Raumaneignung und -gestaltung in den Blick genommen werden. Unsere Leitfrage lautet: In welchem Wechselverhältnis standen Vorstellungen über kollektive Wohn- und Vergemeinschaftungsformen zu Vorstellungen und Epistemologien über die Stadt als Ort des gesellschaftlichen Zusammenlebens? Analytisch steht dabei für uns immer die Frage nach den Machtverhältnissen und deren Verschiebungen – nicht nur zwischen staatlichen Stellen, Fachleuten und Protestierenden, sondern auch innerhalb der alternativen Linken – im Mittelpunkt.

Folgende Themenfelder eignen sich für die Diskussion:
- Subjektivierungen durch Praxen und Ästhetiken des Wohnens, Einrichtens sowohl im bürgerlichen Mainstream als auch in der alternativen Szene; Inneneinrichtungstrends
- Subjektivierungen der Stadtbewohner*innen in den epistemologischen Aushandlungen um die «richtige» Gestaltung der Stadt
- Handwerken/Heimwerken als Ausdruck einer (vergeschlechtlichten) Do-it-yourself-Kultur zwischen Freizeit (als Hobby) und politischer Praxis (als Instandbesetzung)
- Verschiebungen im Verhältnis von öffentlich/privat und der damit verbundenen Vergeschlechtlichung
- Konfliktlösungsstrategien in Wohnkollektiven und partizipative Prozesse der Stadt(teil)gestaltung
- Fremdheitszuschreibungen und deren Bezug zum urbanen Raum und zum Zusammenleben (in der WG, im Haus, in der Siedlung, im Quartier)
- Aspekte einer «antibürgerlichen Bürgerlichkeit» (Sven Reichardt) der alternativen Linken und ihrer Forderungen/Bedürfnisse in Bezug auf die Stadt
- Verhandlung dieser neuen Anforderungen an die Stadt in wissenschaftlichen Diskursen (Stadtplanung, Soziologie, Architektur, etc.) und sozialen Praxen (Platzbesetzungen und -gestaltungen, «Kinderbauernhöfe», Nachbarschaftsgärten etc.)
- Rolle der Geschichte bei der linksalternativen Vorliebe für Altbauwohnungen, «historischen» Stadtteilen, Trödelmobiliar etc. und ihr Verhältnis zu «behutsamer Stadterneuerung» und zur gestiegenen Bedeutung des Denkmalschutzes (bspw. Europäisches Denkmalschutzjahr 1975)
- Wechselwirkungen und Gegenläufigkeiten zwischen der linken Politisierung des Zusammenlebens und -wohnens und dem veränderten planerisch-politischen Zugriff auf die Stadt

Vorschläge für Vorträge (ca. eine halbe A4 Seite) mit kurzem CV senden Sie bitte bis zum 30.09.2019 an:
Nadine.zberg@uzh.ch und friedri@uni-hildesheim.de

Organisiert von
Jan-Henrik Friedrichs (Stiftung Universität Hildesheim), Nadine Zberg (Universität Zürich) und Doktoratsprogramm Geschichte des Wissens (ETHZ/UZH)

Veranstaltungsort

Universtität Zürich
Rämistrasse 64
8001 
Zürich

Kontakt

Nadine Zberg

Kosten

CHF 0.00